Im Land der Feuerblume: Roman
vielleicht nie wieder ein Dach decken … und nie wieder einen Sarg zimmern.
Doch wer würde ihm einen machen?
Das schoss Elisa durch den Kopf, als sie nach oben stürzte, obwohl sie sich im nächsten Augenblick selbst dafür verfluchte, dass sie an so etwas Unwichtiges zuerst dachte. Aber an alles andere konnte sie kaum denken: dass sie nicht bei Lukas gewesen war, als er vom Dach stürzte. Dass sie ihn betrogen hatte. Dass es tatsächlich so schlimm um ihn stand, wie Jule sagte.
Bis sie an seinem Bett stand, hatte sie noch Hoffnung, dass Jule sich irrte. Doch als sie ihn da starr liegen sah wie einen Toten und sein Atem kaum die Brust hob, wusste sie, dass er sterben würde, wenn nicht heute, dann morgen oder in zwei Tagen.
Magdalena stand auf und gewährte ihr den Platz an Lukas’ Bett, aber Elisa konnte nicht näher treten. Sie stand wie erstarrt da.
Was habe ich nur getan?, dachte sie. Was habe ich nur getan?
Sie wehrte sich, als Magdalena sie sanft zu ihrem Mann schob.
Sie hatte es nicht verdient, hier zu sein. Sie hatte diesen unermüdlichen, fleißigen, sich aufopfernden Lukas nicht verdient.
31. KAPITEL
N un also auch Lukas, dachte Greta.
Er war kaum eine Stunde tot, als sie davon erfuhr. Nur zufällig war sie am Haus der von Grabergs vorbeigekommen – nicht, weil sie einen derer Bewohner, sondern Cornelius suchte. Die ganze Brut, wie Viktor die Siedler nannte, konnte ihr gestohlen bleiben. Aber Cornelius, der sie früher regelmäßig besucht hatte, vor allem während des kalten Winters und der Hungerzeit, war nun schon seit Tagen nicht mehr bei ihr erschienen, und sie vermisste ihn. Zuerst hatte die Unruhe sie nur schleichend befallen, dann hatte sie nichts anderes mehr tun können, als ständig nach ihm Ausschau zu halten, und zuletzt hatte sie sich von Viktor fortgeschlichen. Eigentlich war das ein fast unmögliches Unterfangen. Doch der Hunger schwächte ihn so sehr, dass er manchmal schon bei Tageslicht einschlief. Sie selbst spürte diesen Hunger kaum; viel mehr als nach Brot verzehrte sie sich danach, dass Cornelius nach ihrem Wohlergehen fragte.
Ehe sie ihn bei den von Grabergs fand, stürzte Christine ihr entgegen, redete weinend auf sie ein, und nach einer Weile begriff Greta, dass Lukas gestorben war und die alte Steiner doch tatsächlich glaubte, sie wäre gekommen, um ihr das Beileid auszudrücken. Bevor sie es richtigstellen konnte, erklärte Christine schon, dass sie ihre Hilfe brauchte. Greta solle doch bitte nach Poldi suchen. Als Einzigen habe ihn die traurige Nachricht noch nicht erreicht. Er sei in den Wald gegangen, um Holz zu holen.
So ist es also, dachte Greta, als sie auf Christine starrte. Sie will etwas von mir. Würde sie sonst überhaupt mit mir sprechen?
Während Christine darum kämpfte, sich ihre Tränen zu verkneifen, weinte Christl, die nach ihr aus dem Haus gekommen war, ungeniert. Greta blickte verächtlich auf sie. Als ob sie ihren Bruder Lukas geliebt hätte! Von wegen! Christl war eitel und schamlos. Das sagte zumindest Viktor über sie, der zwar den Menschen auswich, Christl Steiner aber manchmal mit scheelem Blick aus der Ferne beobachtete. Viktor sagte auch, dass Christl zur Liebe nicht fähig sei – nicht zu jener Liebe, die er für sie, Greta, hegte und die sie umgekehrt für ihn empfand. Das glaubte, hoffte er zumindest.
In den letzten Monaten dachte Greta oft, dass sie Viktor nicht liebte, sondern vielmehr hasste, vor allem, wenn er wieder und wieder zu ihr sagte: »Ich hab doch nur dich.«
Früher waren ihr diese Worte Zeichen der eigenen Macht über ihn gewesen – heute waren sie ihr lästig. Ja, er hatte nur sie – im Guten wie im Schlechten. Manchmal bewies er es ihr, indem er sie so fest umarmte, dass sie fast erstickte, manchmal indem er sie schlug.
Christl verschwand wieder im Haus, aber Christine stierte nach wie vor auf sie. »Also, kannst du Poldi …«
Greta hatte sich schon umgedreht, bevor Christine die Bitte zu Ende bringen konnte.
Sie war sich nicht sicher, ob sie Poldi tatsächlich suchen wollte. Schließlich war sie wegen Cornelius hierhergekommen – was ging es sie an, dass Lukas Steiner verreckt war? Er war doch Elisas Mann, nicht ihrer. Ob Cornelius Elisa trösten würde?
Der Gedanke beunruhigte sie, und sie beschleunigte ihre Schritte. Rasch erreichte sie die Rodungsgrenze und trat in den Wald hinein.
Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee, Poldi zu suchen. Es war immer irgendwie … lustig, ihn zu
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