Im Land der Feuerblume: Roman
sie ihn auf, »ja, bitte, schlag mich doch!«
Es tat so weh, wenn er schlug, und irgendwie tat es auch gut.
Er ließ die Hand jedoch wieder sinken. Keine Wut stand mehr in seinem Gesicht, nur Hilflosigkeit.
»Bitte Greta … sag so etwas nicht …«
Wie weinerlich er klang. Und wie sehr sie ihn dafür verachtete. Wenn er zuschlug, bewies er wenigstens, dass aus dem zarten Knaben ein kräftiger Mann geworden war. Wenn er hingegen jammerte, nicht einmal das.
»Wie erbärmlich du bist!«, höhnte sie. »Wie armselig! Vater hatte recht, Vater hatte ja so recht. Er wusste immer, dass du zu nichts taugst!«
»Halt deinen Mund!«
Endlich hob er die Hand erneut; sie wappnete sich gegen das klatschende Geräusch und sehnte es zugleich herbei, den brennenden Schmerz, den Geschmack von Blut, wenn er so fest zuschlug, dass ihre Lippen aufplatzten. Doch er schlug sie nicht, sondern packte sie an den Haaren, riss erst ihren Kopf nach hinten und schleifte sie dann durch das halbe Zimmer, um sie an die Wand zu pressen. Sie spürten den kalten Wind, der durch die Ritzen drang, und noch deutlicher fühlte sie seinen Körper, zäh und sehnig.
Dass er sie auf diese Weise hielt, war neu. Sie lachte schrill.
»Warum lachst du?«, schrie er. »Und warum redest du so böse mit mir? Warum verachtest du mich? Du gehörst doch zu mir! Du bist meine Schwester! Du bist meine Frau, du bist alles, was ich habe.«
Mit jedem Wort zog er sie fester an sich, zerdrückte sie, erstickte sie. Der Schmerz, der ihr durch die Glieder fuhr, war altvertraut – doch es war auch etwas anderes dabei, etwas, was sie nicht kannte. Sie musste jäh an die Leiber von Poldi und Barbara denken, wie sie sich aufeinander wälzten, wie sie sich befingerten, wie sie sich wanden – so, als würden sie Schmerzen erleiden, aber eben noch etwas anderes, Gier und Lust, Hingabe und Erfüllung.
Viktor vergrub seine Nase in ihren Haaren und riss gleichzeitig daran. Er küsste ihre Wangen und biss zugleich hinein.
Ob auch Poldi Barbara biss?, fragte sich Greta. Sie war nie nahe genug an die beiden herangekommen, um es zu sehen. Ja, ob er sie biss, bis Blut kam?
Bei ihr kam kein Blut. Viktor wich nun etwas zurück und presste seine Hände gegen ihre Wangen. Es schien, als wollte er ihren Kopf zerquetschen, um alles zu bekommen, was darin war.
»Du gehörst mir doch! Du …«
»Ein jämmerlicher Schwächling bist du«, unterbrach sie ihn scharf. »Wenn ich alles bin, was du hast, hast du es zu nichts gebracht, Viktor. Zu rein gar nichts!«
Er ließ kurz los, starrte sie mit einem Ausdruck von Verwirrung an, dann legten sich seine Hände um ihren Hals und drückten zu. Sie glaubte, ihr Kehlkopf müsse zerspringen – vor Schmerz und vor diesem anderen Gefühl. Die Augen traten ihr aus dem Gesicht.
Ob auch Poldi Barbara würgte? Wenn die Leiber der beiden sich aufeinander wälzten, so schien es manchmal, als würde einer den anderen zermalmen, so dass am Ende nicht zwei Körper blieben, sondern ein einziger.
»Tu’s doch!«, presste Greta tonlos hervor.
Viktors Griff ließ nach, doch kaum hatte sie wieder etwas Bewegungsfreiheit, schnellte ihr Kopf nach vorne, und sie küsste ihn mitten auf den Mund.
Poldi und Barbara küssten sich so – küssten sich, als wollten sie sich auffressen. Beinahe verdutzt starrte Viktor sie an. Als sie zurückwich, versuchte er nun seinerseits, ihre Lippen zu erhaschen.
Sie wartete – wartete, bis der Druck seiner Lippen fordernder wurde, bis seine Zunge in ihre Mundhöhle vordrang, bis sie die ihre traf, dann biss sie zu, so fest und schmerzhaft, wie sie nur konnte. Viktor heulte auf, fuhr zurück und schlug ihren Kopf hart gegen die Wand. Für einen kurzen Moment schien der Anblick seines Gesichts in viele kleine Splitter zu zerstieben. An den Schultern hielt er sie nun gepackt und schlug sie wieder und wieder gegen die Wand.
»Das machst du nicht! Das darfst du nicht mit mir machen!«, kreischte er panisch.
Was meinte er – ihn küssen oder ihn beißen?
Greta schwindelte es. Alles um sie herum wurde schwarz; ihr Kopf schien nichts anderes zu sein als ein gefühlloses Loch. Ruckartig riss sie sich ihre Bluse vom Leib, bot blind dem Bruder ihren nackten bleichen Körper dar. »Ich mache, was ich will«, murmelte sie, »du bist nichts ohne mich. Rein gar nichts bist du.«
Er beugte sich vor, schlug seine Hände auf ihre Brüste, zunächst nicht, um sie zu berühren, sondern nur, um ihre Blöße zu bedecken. Doch
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