Im Land der Feuerblume: Roman
thronte, saß er bei ihr im Nacken. Ein dunkles Netz hielt ihn zusammen – und dunkel war auch die enganliegende Haube, die sie nun abnahm.
»Mit Verlaub!«
Ihre Worte klangen höflich, ihr Verhalten war es nicht. Rüde drängte sie sich einfach zu der freien Schlafkoje und nahm sie für sich allein in Beschlag, indem sie ihr dunkles Cape aufknöpfte und es auf der Matratze ausbreitete. Dann öffnete sie das Täschchen, das sie mit sich trug, zog ein gehäkeltes Kissen hervor – kaum größer als eine Handfläche und wohl kaum tauglich, den Kopf beim Schlafen ausreichend zu stützen – und legte es ans Kojenende. Zuletzt folgte ein zusammengerolltes Kleid, ebenfalls dunkel wie die übrige Kleidung und mit einem wärmenden Pelzbesatz verbrämt. Sie breitete es über das Cape, in der Absicht, das eine Kleidungsstück als Leintuch, das andere als Decke zu benutzen. Als Letztes kramte sie nach einem Büchlein mit dunklem Ledereinband. Im ersten Augenblick hielt Elisa es für eine Bibel – später sollte offenbar werden, dass die fremde Frau dergleichen nicht las, sondern sich eine ganz andere Lektüre mitgenommen hatte.
Kaum hatte sie ihre Sachen geordnet, griff sie sich prüfend an den Knoten im Nacken und steckte eine der farblosen Strähnen, die sich gelöst hatte, wieder fest. Es war Elisa unmöglich, ihr Alter zu bestimmen. Ihre Bewegungen wirkten entschlossen und zeugten von einem Selbstbewusstsein, das von hohem Rang kündete. Wäre sie allerdings adelig, ging es Elisa durch den Kopf, so schliefe sie kaum hier im Zwischendeck. Ihre Haut wiederum war – wenngleich um die Augen ein wenig gerunzelt – so weiß und glatt, dass sie gewiss noch nie im Leben in praller Sonne hatte schuften müssen.
Eben drehte sie sich um und musterte den Kreis, der sich um sie gebildet hatte. Christine und Lambert, eigentlich entzweit durch den Zank um die Koje, waren nun gleichermaßen überrumpelt, dass eine Dritte sie ihnen einfach weggeschnappt hatte.
»Gestatten«, die Fremde blickte über die misstrauischen Mienen hinweg, »Juliane Eiderstett, geborene Baronin von Kriegseis. Als Letztere verarmt, deswegen zur Ehe mit einem Bürgerlichen genötigt.«
Die Scham, die der Frau fehlte, färbte Elisas Wangen rot. Ihr Vater gehörte auch zum veramten Adel, aber er hätte sich eher die Zunge abgebissen, als dergleichen offen zu bekunden, und hätte sie selbst jemals unter ihrem Stand heiraten müssen, so hätte man nie offen den monetären Zwang zugegeben. Jene Frau Eiderstett aber tat es ganz selbstverständlich und ohne dass man sie danach gefragt hatte.
Christine fasste sich als Erste wieder. »Und wo ist er dann – Ihr Mann?«
Frau Eiderstett verstaute mit aller Langsamkeit ihre Tasche unter der Koje, richtete sich dann wieder auf und drehte sich um, als würde sie nach jemandem suchen. »Wie es aussieht, ist weit und breit nichts von ihm zu sehen, oder?«, fragte sie leichthin. »Dann muss das wohl bedeuten, dass er nicht auf dem Schiff ist.«
Christine errötete sichtbar, als Jule sie herausfordernd angrinste. Poldi konnte es sich nicht verkneifen loszukichern, weil jemand es gewagt hatte, seine strenge Mutter zu verspotten. Elisa hingegen fragte sich, was das zu bedeuten hatte: War Juliane Eiderstett Witwe und reiste darum allein? Oder schickte sie – was ungewöhnlich genug war – der Mann ins fremde Land voraus?
Lambert Mielhahn bekümmerte das nicht weiter; etwas ganz anderes erschien ihm offenbar viel skandalöser als die Tatsache, dass sie ohne Gatten unterwegs war. »Und wie kommt es, dass Sie eine ganze Koje für sich allein beanspruchen?«, knurrte er.
»Das war mit dem Kapitän so abgesprochen«, erklärte Frau Eiderstett bereitwillig. »Auf vielen Schiffen sind Männer und Frauen, so sie denn allein reisen, strikt getrennt. Das war mir nicht wichtig – jedoch, dass ich mit keinem Mann das Bett teilen muss. In meiner Ehe musste ich das lange genug. Wenn Sie aber die Kojen rund um die meine in Beschlag nehmen – nun, das stört mich nicht.«
Poldi kicherte wieder los, und wie vorhin war Christine zu verdattert, um ihn mit strengem Blick oder gar einer neuerlichen Ohrfeige zu strafen. Juliane Eiderstett hingegen hob einladend und auch ein bisschen hoheitsvoll die Hand, als gewähre sie den Steiners, den Mielhahns und allen anderen, die hier das Zwischendeck bezogen, einen großen Gefallen, mit ihr reisen zu dürfen.
Lambert öffnete den Mund; gewiss lag ihm eine unflätige Bemerkung auf den
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