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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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und wusste darum nicht, wie lange sie schon hinter ihm stand. Nun trat sie ebenfalls an die Reling. Ihr Griff umklammerte das Geländer, als ihr Blick nach unten auf das Wasser glitt, das dunkel und unergründlich tief wirkte. Nur dort, wo das Schiff es durchschnitt, spritzte weiß die Gischt.
    »Du bist vorhin so schnell verschwunden«, setzte sie an. »Es blieb gar keine Zeit, noch etwas zu sagen. Ich wusste auch nicht, ob ihr überhaupt …«
    Sie sprach zögerlich, schien sich nicht sicher, ob sie das vertrauliche Du gebrauchen durfte. Erst jetzt ging ihm auf, dass er sich ihr gar nicht vorgestellt hatte.
    »Wo ist dein Bruder? Er heißt Poldi, nicht wahr?«
    »Eigentlich ist er gar nicht mein Bruder: Das habe ich nur gesagt, um ihm zu helfen. Aber er heißt Poldi, ja.«
    »Und ich Cornelius Suckow«, erwiderte er knapp.
    Steif standen sie nebeneinander. Ihr Zopf hatte sich noch weiter aufgelöst. Wind zauste ihre Strähnen, riss sie senkrecht nach oben und peitschte sie danach in ihr Gesicht. Rasch griff sie danach, um sie wieder zu ordnen, doch die Meeresbrise erwies sich als ausdauernder, so dass sie es schließlich aufgab. In der frischen Luft glühten ihre Wangen, und das Licht, das langsam milder wurde und vom schrillen, stechenden Gelb zum warmen Rot verblasste, glänzte in ihren Augen.
    Wie alt sie wohl sein mochte? Sechzehn, vielleicht siebzehn Jahre?
    »Ihr seid also auf den Weg nach Chile … du und dein Onkel.« Sie biss sich auf die Lippen, das Rot ihrer Wangen verstärkte sich. »Wie dumm, das zu sagen!«, brach es aus ihr heraus. »Wärt ihr denn auf der Hermann III., wenn ihr nicht nach Chile aufbrechen würdet?«
    Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie nicht zum ersten Mal erbost über die eigene Unbeherrschtheit, mit der die Worte über ihre Lippen sprudelten. Er lachte und fand es als einer, der stets jede Silbe abwägte, erfrischend.
    »So ist es!«, rief er, und es klang ungewohnt befreit.
    Kurz huschte ein Lächeln über ihre Lippen. »Wir werden zu den ersten Deutschen dort gehören, nicht wahr?«, meinte sie. »Vor uns sind kaum ein Dutzend Schiffe nach Chile aufgebrochen.«
    Sie sprach mit leisem Gruseln in der Stimme, doch in ihren Augen glänzte es noch stärker, als sie zu den Möwen blickte, die haarscharf am Wasser vorbeiflogen.
    »Soweit ich weiß, haben noch nicht viele Auswanderer Chile als neue Heimat erwählt«, setzte er an. »Aber zuvor gab es immer wieder Männer unseres Volkes, die dorthin reisten. Im 16. Jahrhundert hat Kaiser Karl den Augsburger Fuggern das Land verliehen, auch wenn diese es nie für sich beanspruchten. Und wenig später sind zwei deutsche Abenteurer im Gefolge der spanischen Eroberer dorthin gereist. Bartholomäus Blümlein und Peter Lisperger. Sie haben Wein angebaut und Land erschlossen und schließlich eine Stadt gegründet. Viña del Mar.«
    Er brach ab, weil er nicht wusste, ob sie das hören wollte, doch sie lauschte interessiert, wenngleich ein wenig verwirrt.
    Plötzlich hörte er Matthias’ spöttische Stimme in seinem Ohr: Du liest zu viel, Cornelius. Die Revolution muss man sich erkämpfen, nicht erlesen.
    Aber das Lesen, hatte er dann geantwortet, ist die beste Waffe in diesem Kampf.
    Matthias hatte dieser Kampf das Leben gekostet und ihn in gewisser Weise seine Bücher. Nur wenige hatte er mitgenommen, die meisten in der Bibliothek seines Onkels zurückgelassen, und das fremde Chile war zwar reich an fruchtbarem, noch unbesiedeltem Land, gewiss jedoch nicht reich an Büchern. Wieder dachte er an Matthias, und diesmal musste er lächeln. Wenn der den überstürzten Aufbruch vielleicht auch zur Flucht degradiert hätte, so hätte es ihm doch gefallen, dass der nachdenkliche, besonnene Freund einer Zukunft entgegenging, in der das Können von Bauern und Handwerkern gefragter war als sämtliche Studien der Welt.
    Sein veränderter Gesichtsausdruck war Elisa von Graberg nicht entgangen. »Warum lächelst du?«, fragte sie.
    »Es ist nichts«, sagte er rasch. »Ich dachte nur …«, er zögerte, verschwieg Matthias’ Namen, um stattdessen fortzufahren: »Es gibt noch einen anderen Deutschen, der lange vor uns nach Chile aufgebrochen ist. Adalbert von Chamisso. Er hat den Süden bereist, und ich habe das Buch gelesen, in dem er darüber berichtet. Es scheint ein faszinierendes Land zu sein, mit zerklüfteten Bergen, wie wir sie nicht kennen, und türkisblauen Seen, Gletschern und Vulkanen, Urwäldern und Steppen, mit fremdartigen Tieren und

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