Im Land der Feuerblume: Roman
das Geld auch ohne diesen Luxus knapp geworden war, hatte er lieber die Reise um Monate verschoben, anstatt sich mit weniger zu begnügen, und schließlich die 100 Taler – mehr als der doppelte Preis als für einen Platz im Zwischendeck – zusammengespart.
Ehe der schrankförmige Mann sie allein ließ, überprüfte er ihre Namen.
»Richard Maximilian von Graberg, sein Eheweib Anna Aurelia von Graberg, seine Tochter Elisabeth Maria von Graberg«, las er von einer Liste ab.
Richard nickte bestätigend, während Elisa zusammenzuckte. Immer noch hatte sie sich nicht daran gewöhnt, dass Annelie den gleichen Namen wie sie trug.
Annelie ließ sich mit hängenden Schultern auf eine der Kojen fallen. Es gab zwei übereinander, beide so schmal, dass man sich würde hüten müssen, sich nicht einmal zu oft umzuwälzen. In der Nische gegenüber befand sich eine dritte Schlafstatt – eine dünne Matratze auf einem Bett aus Stroh, immerhin jedoch mit einem frischen Leinenlaken bezogen, die wie Polster und Decke reinlich weiß waren. Die ärmeren Passagiere im Zwischendeck wurden nicht mit so einem Luxus bedacht. Vorhin hatte Elisa gesehen, dass sie nicht nur das Essgeschirr mitbringen mussten, sondern auch eigene Matratzen, Kissen und Decken. Sie beugte sich hinunter und strich prüfend über das Laken. Der Stoff war hart, aber ohne Flicken.
Nicht weit über ihrer Bettstatt befand sich eine kleine Luke. Das Bild dahinter verschwamm vor ihren Augen und vermittelte lediglich eine Ahnung davon, wo das Meer aufhörte und der Himmel begann, denn das Glas war nicht durchsichtig, sondern dick und grün.
Als Elisa sich wieder umdrehte, sah sie, dass Annelie ihren Kopf auf die Hände stützte und erstmals herzerweichend stöhnte.
»Wolltest du uns nicht vorhin etwas zu trinken bringen?«, wandte sich Richard an Elisa. »Wir könnten eine Stärkung gebrauchen.«
Es lag Elisa auf den Lippen, das Ansinnen zurückzuweisen, doch dann besann sie sich eines Besseren und nutzte die Gelegenheit, dem engen Raum zu entkommen, in dem sie noch genügend Zeit würde verbringen müssen.
Im Gang lärmten und drängten mehrere Offiziere und Matrosen; weitere Passagiere strömten von Deck und wurden in ihre Kajüten auf dem Oberdeck gebracht. Fragen schwirrten durch die Luft – wann das Schiff ablegen würde, wann es die erste Mahlzeit gäbe, wo sich frisches Wasser finden ließe, mit dem man sich reinigen könnte, wo sich der Abort befände?
Elisa konnte nicht lange über die eigenen Schritte entscheiden, sondern überließ sich schließlich dem Drängen und Schieben. Inmitten einer Menschentraube zog es sie zu der Treppe, die zum Zwischendeck hinabführte.
Die Luft war dort schon jetzt zum Schneiden; es roch nach Ausdünstungen von Menschen und nach nicht mehr ganz frischen Lebensmitteln. Obwohl für die Zeit der Reise volle Versorgung versprochen wurde, war in den Amtsblättern der Rat an die Auswanderer ergangen, sich den einen oder anderen Laib Speck oder eine Flasche Schnaps einzustecken, falls die Mahlzeiten nicht reichlich genug ausfielen.
Elisa rümpfte die Nase. Manch einer hatte sich diesen Rat wohl zu sehr zu Herzen genommen und auch verdorbene Reste auf das Schiff gebracht, und es bestand keine Aussicht, dass frische Luft diese Wolke vertrieb. Neben den zwei offenen Treppen an den beiden Enden des schmalen Ganges gab es nur wenige Luftfänge – kaum größer als ein Rattenloch –, jedoch keine Fenster. Entsprechend trüb war auch das Licht.
Elisa blickte sich um. Gemäß den Vorschriften befanden sich jeweils nur zwei Schlafkojen übereinander und nicht drei oder vier, wie es auf früheren Schiffen noch üblich gewesen war, doch diese waren um vieles breiter und mussten Platz für insgesamt vier Passagiere bieten. An die drei Dutzend solcher Kojen reihten sich aneinander, so dass kaum Platz dazwischen war.
Elisa wich der Kante eines der niedrigen Tische aus, die vor den Kojen in den Boden festgenagelt worden waren und die deswegen auch bei starkem Seegang nicht verrutschen würden. Immer schmaler wurde nun der Gang, verstellt von Kisten und Säcken mit Gepäck. An den Rändern der Kojen wurde das Kochgeschirr aufgehängt, daneben die Kleider. Beinahe schlug sie sich ihren Kopf an einem riesigen Laib Schinken an – ähnlich dem, der in den Nächten im Logierhaus über ihrem Kopf gebaumelt war. Ob der Besitzer womöglich derselbe war? Sie konnte sich allerdings nur noch an den durchdringenden, würzigen Geruch
Weitere Kostenlose Bücher