Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
Lippen. Doch er wurde vom lauten Rufen eines Matrosen unterbrochen. Sie hatten keine Zeit, sich länger mit Frau Eiderstett zu beschäftigen, denn alle Passagiere mussten sich an Deck versammeln, um dort die Zählung abzuwarten.

    Die Menschen schoben sich hin und her, die einen vor Aufregung rotwangig, andere wie erstarrt. Gedrängt, gehüpft, geschlagen wurde in dem einen Knäuel, während sich anderswo Passagiere zitternd an die Reling klammerten, als wäre das Stückchen Boden, auf dem sie standen, fortan das einzig Vertraute und als würden sie sich nicht mehr davon lösen wollen.
    Cornelius wich manchem Ellbogen aus und versuchte, niemandem auf die Zehen zu steigen, was nicht immer möglich war. Kaum hatte einer der Offizianten mit der Zählung begonnen, schoben sich viele in dessen Nähe, als gelte es einen Preis unter jenen zu gewinnen, deren Name als Erstes auf der Liste abgehakt war. Um den festen Stand nicht zu verlieren, musste er energisch auftreten, und bald war ihm heiß vor so viel Enge, so viel Hast, so viel Erregung.
    Nachdem auch er dem Schreiber des Offizianten seinen Namen und den des Onkels zugebrüllt hatte – über mehrere Köpfe hinweg, denn dichter war nicht an ihn heranzukommen –, wollte er sich wieder einen Weg zurück zu der Kajüte bahnen, die er sich mit seinem Onkel teilte. Doch schließlich resignierte er vor dem Gedränge, das niemandem seinen eigenen Willen ließ, kämpfte nur mehr darum, nicht zu arg zwischen Leibern eingequetscht zu werden – und noch mehr darum, in dem Gewühle nicht in Panik zu geraten. Es erinnerte ihn an den Tag, als Matthias starb, und er klammerte sich förmlich an alle Einzelheiten, die ihn von diesem unterschieden – die Möwen, die über ihren Köpfe kreischten, die grunzenden Stimmen zweier Männer, die bereits jetzt, da das Schiff noch nicht einmal abgelegt hatte, mit Wein, Bier und gebranntem Wasser handelten, und schließlich die Matrosen mit ihren dunkelblauen, weißgestreiften Uniformen, die darauf warteten, den Anker zu lichten und sich die Zeit bis dahin mit grölendem Gesang vertrieben.
    Als die Zählung endlich vorüber war, riefen sie die kräftigeren Männer zusammen, die ihnen – nun, da der Wind günstig stand – dabei helfen sollten, die Segel beizusetzen und die Flagge zu hissen.
    Niemand richtete die Bitte an Cornelius, so dass er, weil er nicht untätig bleiben wollte, schließlich selbst auf einen der Matrosen zutrat und fragte, ob er helfen könne.
    Der Mann musterte ihn grinsend. Auch wenn er sich möglichst gerade hinstellte und einen entschlossenen Eindruck machte – dass er einer war, der sein bisheriges Leben häufiger in der Studierstube als auf dem Feld verbracht hatte, schien unverkennbar.
    »Das schaffen wir auch ohne dich, Bübchen.«
    Schulterzuckend trat Cornelius wieder zurück.
    Pastor Zacharias hatte sich der Zählung verweigert, sich stattdessen in die Koje gelegt und erklärt, sein Herz würde der Aufregung des Abschiednehmens nicht standhalten. Unmöglich könne er zusehen, wie vertrautes Land in der Ferne immer kleiner werden und schließlich verschwinden würde. Er hatte sich in Essigwasser gewundene Tücher auf die Stirn gelegt, als litte er am Fieber, und beschwerte sich lauthals über den Gestank, der auf dem Schiff herrschen würde. Cornelius fand, dass das Essigwasser scheußlicher roch als die salzige Meeresbrise hier auf Deck, aber das hatte er nicht laut gesagt.
    Langsam wurde es lichter, und obwohl der Weg nach unten nun frei gewesen wäre, entschied er sich anders und zog es vor, den Onkel seinen Essigtüchern zu überlassen und sich selbst ein Plätzchen an der Reling zu ergattern. Ein Ruck ging durch das Schiff, als es sich in Bewegung setzte, zunächst so langsam, als würde es sich um sich selbst drehen. Ein Fischkutter fuhr an ihnen vorbei, und die zwei Männer darauf grölten Unverständliches in ihre Richtung. Doch wirkte er zunächst noch zu schwerfällig, um ihn einzuholen, so gewann der Dreimaster rasch an Fahrt, und nach wenigen Augenblicken hatten sie zum Fischkutter aufgeschlossen. Von den hohen Wellen wurde dieser nun wie eine Nussschale hin und her gebeutelt, was die beiden Männer nicht davon abhielt, weiter zu grölen und zu lachen. Waren sie erleichtert, weil sie in vertrauten Gewässern bleiben konnten? Oder neidisch auf das Abenteuer der anderen?
    »Ich … ich wollte dir noch danken …«
    Die Stimme traf ihn unvermittelt. Er hatte Elisa von Graberg nicht kommen sehen

Weitere Kostenlose Bücher