Im Land der Feuerblume: Roman
Pflanzen.«
Der Wind hatte sich gedreht. Er blies ihr das Haar nicht mehr ins Gesicht, sondern fort davon.
Starr war ihr Blick nun auf den Hamburger Hafen gerichtet, der immer kleiner wurde.
»Wir werden lange keinen festen Boden mehr unter den Füßen haben.«
Er nickte. Auf der Reise über zwei Ozeane würden sie immer wieder Küsten zu sehen bekommen. Aber erst im Hafen von Corral würden sie diese wieder betreten.
»Hast du Angst?«, fragte er unvermittelt.
Die Türme der Sankt-Katharinen-Kirche und des Michels würden bald nicht größer sein als Bauklötze.
»Nein«, sagte sie entschieden. »Nein, ich habe keine Angst. Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet.« Sie zögerte kurz, schien sich nicht sicher, ob sie ihm derart Vertrauliches sagen durfte, entschied sich aber dann doch dazu. »Meine Mutter ist letztes Jahr gestorben. Und mit ihren letzten Worten hat sie mir aufgetragen, dass ich aus Hessen weggehen solle. Deine Zukunft ist nicht hier, sagte sie. Deine Zukunft ist im fernen Chile.«
Ihr starrer Blick wurde versonnen. Wahrscheinlich sah sie ihre Mutter vor sich, und auch Cornelius dachte an die Menschen, die er zurückließ und die er wahrscheinlich nicht wiedersehen würde. Allerdings stiegen nur die feindseligen Gesichter seiner Verwandtschaft vor ihm auf, die ihn – von seinem Onkel ausgenommen – nie besser behandelt hatten als einen dahergelaufenen Pferdeknecht.
Da sah er plötzlich ein kleines Mädchen im schwindenden Hafen stehen. Mit seiner Mutter war es hierhergekommen, um die großen Schiffe und das Spektakel der Abreise zu bestaunen. Nicht größer als eine Hand wirkte es aus dieser Entfernung, und doch war ihm, er könnte das aufgeregte, lachende Gesicht genau erkennen.
Das Mädchen winkte ihnen zu, voller Hoffnung, voller Unschuld, als wäre es keine gefährliche Reise, zu der sie aufbrachen, sondern ein aufregender Ausflug, für den es ihnen alles Gute wünschen wollte. Er spürte eine Bewegung neben sich, bemerkte dann, dass auch Elisa das Mädchen gesehen hatte und nun gleichfalls die Hand hob, um ihm zuzuwinken.
Erstmals ließ sie das Geländer los, an das sie sich bis jetzt geklammert hatte, und als das Schiff sich etwas neigte, rutschte sie aus und drohte zu fallen.
Rasch griff Cornelius zu und packte sie an ihrer Hand, die warm war und seinen festen Griff erwiderte.
»Ich muss besser aufpassen!«, rief sie erschrocken.
Sie ließ ihn nicht mehr los. Hand in Hand standen sie, gaben sich gegenseitig Halt und hatten somit alle Freiheit, dem Mädchen zuzuwinken. Dieses lachte und jauchzte, bis nur mehr ein winziger Punkt von ihm zu sehen war, und schließlich war auch der vom Horizont verschwunden.
4. KAPITEL
D as Deck war immer noch randvoll, als der Lotse, der im Hamburger Hafen mit an Bord gegangen war, das Schiff in die offene See führte. Als er es danach auf dem Lotsenkutter, der bis dahin neben der Hermann III. gesegelt war, wieder verließ, setzte lautes Rufen und Winken ein. Die Matrosen rannten schwitzend und rufend auf dem Deck hin und her, um – wie Elisa später erfuhr – die Segel so zu stellen, dass der Wind einen Teil von diesen von vorne, in die anderen wiederum von hinten blies, damit das Schiff kurze Zeit stillstand. Mit offenen Mündern starrten nun alle auf das winzige Boot, das – von zwei Matrosen gerudert – vom Kutter ausgesetzt wurde, um den Lotsen von Bord zu holen. Es wurde von riesigen Wellen hin und her geschleudert und drohte jeden Augenblick umzuschlagen.
Elisa schrie wie viele andere entsetzt auf; Poldi dagegen, der sich im Kreise seiner vielen Geschwister das Schauspiel nicht entgehen ließ, lachte laut. Wieder andere schlossen ganz nüchtern Wetten ab, ob das Boot das Schiff heil erreichen würde oder nicht – so wie in den nächsten Tagen auf so vieles Wetten abgeschlossen wurden, vor allem darüber, ob die Reise nur 100 Tage, wie erhofft, oder 150 Tage, wie befürchtet, dauern würde.
Das Boot legte schließlich an der Seite der Hermann III. an, nahm den Lotsen, der sich an einem Tau herunterließ, auf und wurde sicher zum Kutter gerudert. Erneut rannten nun die Matrosen hin und her, verbissen die einen, fluchend andere, um die Segel neu zu stellen. Alsbald wurden sie vom Wind gebläht, und das Schiff legte an Tempo zu.
Langsam begann sich das Deck zu leeren; in der einsetzenden Dämmerung blies der Wind immer schärfer, schien das Meer immer abgründiger und schwärzer. Schließlich verstummten auch die Möwen,
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