Im Land der Feuerblume: Roman
wie es ihr Name verhieß – dem Rüssel eines Schweins glich. Vergebens versuchten die Matrosen, welche zu fangen – mehr Glück hatten sie bei einem Sonnenfisch, der ganz flach auf dem Wasser zu liegen schien. Nachdem sie ihn an Deck gezogen hatten, erschlug ihn einer der Matrosen mit der Axt, das hieß: Er probierte es zumindest, denn am Ende lebte der Fisch immer noch, und die Axt war krumm.
»Das kannst du dir sparen!«, rief ein anderer. »Die Haut des Sonnenfisches ist so hart wie ein Panzer, und darunter findest du keinerlei Fleisch – nur ein bisschen Fett um die Lunge, und das schmeckt grässlich.«
So warf man den Fisch wieder ins Wasser. Elisa war sich allerdings nicht sicher, ob er die Tortur überleben würde.
Nach und nach litten sie an der Hitze. Die Schwalben, die – wie als letzter Gruß von Europa – manchmal über das Schiff hinweggeflogen waren, blieben fern. Der Steward erzählte, dass sie bald an der Insel Madeira vorbeisegeln würden, doch als das geschah, war es Nacht, und niemand konnte den Anblick der Küste erhaschen.
»Wann werden wir wohl endlich wieder Land sehen?«, fragten sich nun die Passagiere immer wieder – die einen bang, die anderen stoisch, wieder andere hoffnungsfroh.
Hatte zunächst ein jeder sämtliche Kleidung getragen, die er besaß, versuchte man nun, so viel wie möglich davon loszuwerden. Selbst unter ihrer dünnen Leinenbluse schwitzte Elisa wie noch nie in ihrem Leben, und besonders unerträglich war die Luft, wenn Windstille herrschte. Das Zwischendeck verwandelte sich in einen glühenden Backofen, und selbst Emma Mielhahn, die stets in ihrer Koje lag, kam erstmals mit Viktor und Greta aufs Deck, desgleichen Annelie, die sich an einem einzigen Tag die Haut so sehr verbrannte, dass sie am Abend Blasen warf.
Andere Frauen waren robuster. Jule suchte sich an Deck ein ruhiges Plätzchen und las in ihrem Büchlein; Christine stopfte mit den Töchtern Strümpfe – genau genommen, stopfte nur Magdalena mit ihr; Christl maulte über die Arbeit, und das Katherl summte vor sich hin. Auch die Matrosen vertrieben sich die Zeit, indem sie die Segel flickten oder die Masten und Rahen anmalten. Vornehmere Herren spielten Whist oder Schach, einfachere Männer fanden Spaß an Hahnengefechten – ein blutiges Schauspiel, das Elisa verabscheute und dem sie meist aus dem Weg ging.
Viel lieber kam sie nach dem Abendessen, wenn es schon dunkel war, noch einmal an Deck, um die nun kühlere Luft zu genießen, dem Meeresleuchten zuzusehen oder sich den gestirnten Himmel von Cornelius erklären zu lassen, der ihr meistens Gesellschaft leistete.
»Das hier ist der Orion, das schönste Sternbild überhaupt«, berichtete er eines Abends. »Er ist nur vom Spätherbst bis zum Frühling zu sehen, denn wenn das Sternbild Skorpion im Osten aufzieht, muss Orion den Himmel im Westen verlassen.«
»Du weißt über so viele Dinge Bescheid«, murmelte sie voller Bewunderung. »Sicherlich hast du viel gelesen.«
Unscharf erinnerte sie sich an Zeiten, da sie gemeinsam mit der Mutter Gedichte gelesen hatte – damals, als sie noch nicht arm gewesen waren, der Kampf ums Überleben noch nicht alles, was Freude, Unterhaltung, Belustigung brachte, verdrängt hatte.
»Ich wäre gerne Pastor geworden«, sagte Cornelius leise, »so wie mein Onkel.«
Sie drehte sich zu ihm. »Und warum bist du es nicht geworden?«
Kurz verdunkelte sich sein Gesicht, und sie spürte, wie jene Traurigkeit ihn überkam, die sie so oft an ihm beobachtete. Manchmal wirkte er einfach nur melancholisch, manchmal so voller Schmerz. »Einer wie ich durfte nicht Pastor werden«, sagte er erstickt.
»Einer wie du?«, fragte sie überrascht
»Es … es hat mit meiner Mutter zu tun …« Er schien darum zu kämpfen, möglichst schnell und nüchtern zu sprechen. »Aber das ist nicht wichtig … nicht mehr. Matthias hat immer gesagt, ich solle etwas lernen, was man im Leben gebrauchen kann, die hohe Theologie aber gehöre ganz sicher nicht dazu. Vielleicht hatte er recht.«
Seit jenem Morgen, da sie die Kreideküste passiert hatten, war Matthias’ Name nicht mehr gefallen. Elisa wusste nicht, woran Cornelius’ Freund gestorben war – so wie sie im Grunde fast gar nichts über Cornelius wusste. Sie verbrachten viele Stunden zusammen, und er war ihr so vertraut, dass sie ihn schmerzlich vermisste, wenn sie ohne ihn war. Aber sie hatte nicht sonderlich mehr über ihn erfahren, als dass er mit seinem Onkel nach
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