Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
hätte.
    »Aber …«
    »Ich weiß, dass wir in der Kajüte bleiben müssen. Doch die See scheint noch so ruhig zu sein. Wenn tatsächlich ein Sturm über uns hereinbricht, wird es keine Gelegenheit mehr geben, etwas zu essen zu holen, und ich sterbe vor Hunger.«
    Er folgte ihr widerstrebend, so wie er meistens augenblicklich tat, worum sie ihn bat, und oft fragte sie sich, woher sie diese Macht über ihn nahm. Nach dem Tod seiner Frau war er täglich zu deren Grab gegangen. Beim ersten Mal hatte sie ihn noch zufällig getroffen; in den darauffolgenden Wochen hatte sie es hingegen sorgsam so eingerichtet, immer zur selben Zeit auf dem Friedhof zu erscheinen. Mitgefühl und Respekt hatten sie dazu getrieben – ganz sicher keine Berechnung, wie ihr später die neidische Schwester vorhielt. Eines Tages hatte sie Mut gefasst, einen Strauß Blumen gepflückt und ihm überreicht. Sein Gesicht hatte sich kurz aufgehellt, nicht nur, weil sie ihm Trost spendete, sondern weil sie ihm so bestimmt erklärte, dass er die Blumen nun aufs Grab legen und ein Gebet sprechen müsse, danach aber den Friedhof verlassen und sich etwas Gutes tun sollte, versuchen, das Schöne zu sehen, anstatt sich in der Trauer regelrecht zu vergraben. Seine Frau hätte sicher auch gewollt, dass das Leben für ihn weiterging.
    Bis heute wunderte sie sich, dass sie die Worte so entschlossen hatte vorbringen können, anstatt vor üblicher Schüchternheit zu vergehen.
    Nachdem Richard die Kajüte verlassen hatte, stand sie langsam auf. Eine Weile musste sie warten, bis der Schwindel aus ihrem Kopf wich und sie klar sehen konnte, dann öffnete sie die Tür. Sie lauschte in beide Richtungen, und als sie weder Stimmen noch Schritte hörte, huschte sie in den Gang. Abermals grummelte es in ihrem Magen; ächzend stützte sie den schweren Leib. Dennoch setzte sie Fuß vor Fuß, entschlossen, Elisa zu suchen, endlich einmal allein mit ihr zu reden und um Verständnis für ihren Vater zu werben. Annelie konnte mit der Verachtung der Stieftochter leben, aber sie wollte nicht zum Keil werden, der sich zwischen das Mädchen und Richard drängte; sie hatte das nie gewollt.
    Zunächst war es nur Mitleid gewesen, das sie Richard von Grabergs Nähe suchen und sie stets aufs Neue liebe Worte finden ließ – doch schließlich war auch Not hinzugekommen, pure Not, die sie befiel, wenn sie sich vorstellte, ihr ganzes Leben an der Seite ihres schreienden Vaters und ihrer nicht minder lauten Brüder verbringen und arbeiten zu müssen. Armut ertrug sie, aber nur ohne Geschrei. Und dann war ihr eines Tages aufgegangen, wie sie dem Geschrei entgehen konnte. Der vermeintlich stolze Richard von Graberg war nach dem Tod seiner Frau nicht nur ein Schatten seiner selbst, sondern überaus leicht zu verwirren und dankbar für jeden entschlossenen Ratschlag. In seinen Adern floss adeliges Blut, doch er schien völlig verloren – und leicht lenkbar, trat man ihm mit festem Willen entgegen. Sie schmeichelte sich bei ihm ein, begleitete ihn auf Spaziergängen, passte ihn am Sonntag nach der Messe ab. Nicht lange, und sein Blick leuchtete, wenn er sie sah – dieser Blick, in dem zugleich so viel Zaudern stand, so viel Unsicherheit, so viel Furcht vor dem Leben.
    Elisa war ganz anders als er – forsch und entschlossen und klar in allem, was sie tat. Annelie fühlte tiefe Bewunderung für sie und tiefe Trauer, weil es ihr nicht gelang, sich mit dem Mädchen gut zu stellen.
    Annelie spürte, wie ihre Beine zitterten. Nach dem langen Liegen waren sie schwach und gefühllos, und kurz befürchtete sie, dass sie unter ihr wegsacken würden. Ächzend blieb sie stehen und lehnte sich an die Wand, als das Schiff plötzlich derart schlingerte, dass sie quer durch den Gang stolperte und schließlich schmerzhaft gegen die gegenüberliegende Wand prallte. Sie schrie auf und umfasste instinktiv ihren Leib. Vor einigen Tagen hatte sie das Kind zum ersten Mal gefühlt, aber jetzt verhielt es sich ganz ruhig. Als sie über den geblähten Bauch strich, war er ihr einfach nur lästig. Sie hatte versucht, sich auf das Kind zu freuen, und konnte doch nicht aufhören, mit diesem Schicksal zu hadern: Warum hatte sie ausgerechnet jetzt an dieser Last zu tragen? Wo war die leichtfüßige, behende, fleißige Annelie von früher geblieben? Sie hatte sich an Richards Seite ein besseres Leben erhofft – und fühlte sich nun langsam verwelken.
    »Elisa!«, rief sie schwach. »Elisa!«
    Sie kam kaum gegen das

Weitere Kostenlose Bücher