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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Stöhnen des Windes an. Immerhin hatte das Wanken des Schiffes nachgelassen, und so ging sie weiter. Ihre Schritte gerieten nun ein weniger sicherer und führten sie zum Abstieg. Der drohende Sturm hatte dem üblichen Treiben im Zwischendeck kein Ende gesetzt. Sie hörte ein Lachen und Toben, ein Lamentieren und Kinderschreien. Irgendjemand würgte, einige schienen Gebete zu murmeln, wieder andere kicherten.
    »Elisa!«, rief sie wieder.
    Sie musste die Stieftochter finden, musste versuchen, sie irgendwie mit Richard zu versöhnen! Oft war sie kurz davor gewesen, ein offenes Gespräch mit Elisa zu suchen, ihr zu beteuern, dass sie ihr weder den Vater wegnehmen wollte noch das Gedenken an die Mutter beflecken … ja, dass sie zusammenhalten müssten. Doch sie hatte es nicht gewagt, hatte vielmehr Angst, ihr lästig zu fallen.
    Das Licht des Ganges wurde trüber, und als sie sich entlang der Wände tastete, spürte sie dünne Rinnsale daran heruntertropfen. Sie zuckte zusammen, als ein dumpfes Knirschen erklang und sich durch den ganzen Schiffskörper zog. Wieder rumpelte es, und obwohl sie diesmal darauf vorbereitet war und sich festzuhalten versuchte, polterte sie erneut gegen die Wand – nein, eigentlich gegen eine Tür, die nicht ordentlich verschlossen war und die unter der Wucht ihres Leibes nachgab. Nur mühsam konnte Annelie sich am Rahmen festhalten. Um ein Haar wäre sie in den Raum gestolpert. Sie blickte sich um: Offenbar war es einer der Lagerräume, der sich zwischen erster und zweiter Kajüte befand, nicht weit von der Kombüse entfernt, von der sich durchdringende Gerüche nach Angebranntem ausbreiteten.
    Etwas Dunkles lag in der Ecke, vielleicht die verbliebenen Vorräte an Steinkohle und Holz. Als das Schiff Hamburg verlassen hatte, war der Raum wahrscheinlich noch randvoll damit gewesen. Einige Fässer standen daneben – gefüllt mit Brennöl für die Laternen.
    Annelie wollte wieder zurück in den Gang treten und weiter nach Elisa suchen. Doch in diesem Augenblick ertönte abermals das Knirschen, noch bedrohlicher, noch dumpfer als vorhin. Das Schiff wankte nicht einfach, es schien förmlich umzukippen. Der Ruck, der durch das Schiff ging, fiel so abrupt aus, dass ihre Hände vom Türrahmen glitten. Sie fiel nach hinten, bemerkte erst in diesem Moment zwei hölzerne Stufen, die nach unten führten. Schmerzhaft rammten sie sich in ihren Leib, als sie darüber rollte. Ihr Kopf schlug auf einer Kante auf. Als sie endlich liegen blieb, hatte sie das Bewusstsein bereits verloren.

    Nachdem Annelie mühsam die Augenlider geöffnet hatte, war alles um sie herum schwarz. Sie wusste nicht, wo sie war, hatte vielmehr das Gefühl, kopfüber im Nichts zu hängen, und als sie ihre Hand ans Gesicht führte, spürte sie unter dem rechten Auge verkrustetes Blut. Ein Schmerz durchzuckte zuerst ihren Kopf, dann den Leib – und brachte die Erinnerung an das zurück, was geschehen war. Sie war gefallen … in diesen Lagerraum … und dann ohnmächtig geworden. Für wie lange wohl? Und was hatte sie wieder zu sich kommen lassen? Der krampfartige Schmerz in ihrem Leib, das unruhige Schlingern oder der Lärm?
    Nahezu ohrenbetäubend war das Krachen, von dem sich nicht sagen ließ, ob es von oben oder unten kam. Es klang, als wären hundert Leute darum bemüht, mit Brecheisen und Äxten das Schiff kurz und klein zu schlagen und mit ihm sämtliches Mobiliar. Zwischendurch ertönte immer wieder ein dumpfes Knarren, als würde ein Stöhnen durch den Rumpf des Schiffs gehen – ein nicht ganz so durchdringender, aber umso bedrohlicherer Laut.
    »Hilfe …«, krächzte Annelie. »Hilfe …«
    Unmöglich konnte sie gegen diesen Lärm ankommen!
    Über ihr ertönte Getrampel. Es musste von den Matrosen stammen, denn schließlich waren alle Passagiere aufgefordert worden, in der Kajüte zu bleiben. In den letzten Wochen hatte sich Annelie oft am gleichmäßigen Gesang der Seemänner erfreut. »Ahoi, ahoi, ahoi«, erklang es dann in ihrer Kajüte. Die Schreie, die sie nun ausstießen, verhießen jedoch Panik. Eine Stimme war besonders laut; vielleicht war es der Kapitän, der durch das Sprachrohr brüllte, um auf diese Weise gegen den heulenden Wind, die brausende, zischende See und das Knarren und Krachen im Gebälk anzukommen.
    Annelie lauschte konzentriert, um aus einem der Befehle herauszuhören, wie es um das Schiff stand und wie heftig der Sturm war, doch ehe sie auch nur ein Wort verstand, erhielt sie einen so

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