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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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leblosen Kind.
    »Mein Buch!«, klagte Jule laut. »Ich habe mein Buch verloren.«
    »Hier hat jeder alles verloren«, entgegnete Christine kühl. »Sei froh, dass du keinen Liebsten betrauern musst.«
    Jule hob den Kopf, und zu Elisas Erstaunen versiegten ihre Tränen augenblicklich.
    In der Ferne tauchten nun weitere Rettungsboote aus dem Morgennebel auf und legten schließlich am Strand an.
    Elisa blickte sich suchend um. Der Schmerz in ihrer Kehle und die Übelkeit ließen nach. Es zählte nur mehr die Angst um ihn.
    Wo war Cornelius?

    Elisa drängte sich an den Menschen vorbei. Zunächst, als sie das Ufer erreicht hatten, hatten die meisten benommen und blicklos auf das Meer gestarrt, als verharrten sie in einem bösen Traum. Doch langsam begriffen sie, dass es kein Erwachen daraus gab und dass zwar ihr Leben gerettet war, aber nichts von dem, was sie besessen hatten.
    Laut beklagte man den Verlust von Geld, von Schmuck, von persönlichen Andenken, die man aus der Heimat mitgenommen hatte – vor allem aber von der Aussaat: Wie ihnen angeraten worden war, hatten sie Samen von Hafer und Weizen, Gerste und Roggen mitgebracht, von Erbsen und Bohnen, Rüben und Karotten, Zwiebeln und Kohl. Unscharf konnte sich Elisa erinnern, dass es im Verlauf der Reise zudem lange Diskussionen gegeben hatte, welche Obstsorten man in Chile anbauen könne und ob die Kerne von Apfel und Kirsche, Birne, Quitte und Pflaume, vor allem aber die Samen von Brombeeren, Himbeeren und Erdbeeren überhaupt aufgehen würden. Alles, alles war verloren.
    Die Klagen wurden leiser, als Elisa das erste armselige Menschenhäuflein hinter sich ließ. In der Ferne sah sie ein weiteres Rettungsboot anlegen. Die Passagiere, die ihm entstiegen, gingen nicht aufrecht, sondern wankten und fielen schließlich auf den Boden, der an manchen Stellen sandig, an anderen spitz und steinig, an wieder anderen mit einem hellgrünen, harten und scharfkantigen Gras bedeckt war, das auch in salziger Ufernähe wachsen konnte. Ein Mann trommelte regelrecht auf die Erde, als gelte es sich zu vergewissern, dass er tatsächlich auf festem Boden stand. Eine Frau erhob weinend die Hände zum Himmel.
    Alsbald hörte Elisa ähnliche Klagen wie vorhin. Am lautesten gebärdete sich eine der Frauen, deren Kummer nicht dem Verlust von Getreide-, sondern von Blumensamen galt. »Ich bin doch nur mitgekommen, weil man versprochen hatte, ich könnte auch hier einen Garten haben. Einen wunderschönen Garten, in dem Pflanzen wild durcheinander wachsen. Margeriten und Pfingstrosen, Löwenmaul und Frauenschuh. Und nun? Nun ist alles verloren! Niemals werde ich einen Garten haben.«
    »Sei froh, dass du dein Leben behalten hast«, knurrte ein Mann.
    Elisa ging weiter, immer weiter. Ihr Mund fühlte sich verdörrt an, dennoch begann sie nun, laut Cornelius’ Namen zu rufen. Sie kam kaum gegen das Jammern und Weinen an.
    Das also war der Moment der Ankunft, so oft in Gedanken ausgemalt, so inständig herbeigesehnt. Das also war Chile – das Land der Hoffnung, des Neubeginns: ein karger Küstenstreifen, über den verlorene Menschen stolperten.
    Der Morgennebel lichtete sich. Einzelne Sonnenstrahlen stachen durch die Wolken, und Elisa hob die Hand, um sich vor dem grellen Licht zu schützen. Sie drehte sich nach allen Seiten um, nahm immer mehr vertraute Gesichter wahr – doch Cornelius war nicht darunter.
    Schließlich stolperte sie zu einem der Stewards, der mit einem Ausdruck tiefster Verwirrung auf seine zerrissene Uniform starrte. »Nicht einmal nach dem Sturm habe ich so elend ausgesehen«, grummelte er.
    »Bitte«, flehte sie, »bitte, ich suche Cornelius Suckow. Er ist der Neffe des Pastors, Sie kennen doch den Pastor? Jeder kennt ihn. Er …«
    Der Steward blickte hoch, aber an ihr vorbei. »’s gibt drei Möglichkeiten, Mädchen. Entweder er ist verbrannt, ersoffen oder mit dem Boot abgetrieben«, meinte er barsch und ließ sie stehen.
    Plötzlich übermannte sie Schwindel. Die Salzkruste auf ihrer Haut schien sich schmerzhaft zusammenzuziehen, die Zunge fühlte sich so rissig an wie ihre Lippen. Schwer sackte sie auf die Knie, glaubte, sich nie wieder rühren, sich unmöglich gegen den Druck, der auf ihren Schultern lastete, erheben zu können. Tränen stiegen ihr in die Augen, vor Erschöpfung, vor Angst, vor Entsetzen.
    Cornelius … mein Gott … Cornelius …
    Wie sollte sie es ertragen, wenn er ertrunken war? Wie sollte sie ohne ihn weiterleben?
    Dass sie sich bei

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