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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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die abgenutzte Kaserne, wohin die Soldaten sie brachten. Es war ein erbärmlich stinkender, verlauster Ort, den rein zu halten sich wohl schon seit Jahren niemand mehr bemüßigt fühlte. Viele Nebenhäuser, kaum Besseres als Baracken, standen leer und wurden nun zu ihrer Unterkunft umfunktioniert. Elisa war alles gleich. Sie war nur erleichtert, endlich anzukommen – gleich wo.
    Sie hatte keinen Hunger mehr und keinen Durst, drückte ein letztes Mal Cornelius’ Hand – während des Fußmarsches hatten sie sich Hand in Hand gehalten –, dann sank sie nieder. Es kümmerte sie nicht, dass der Boden kalt und hart war, es nicht einmal dünne Matten gab, sondern sie fiel augenblicklich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
    Sie wurde von den Vögeln geweckt, laut schreienden Vögeln mit riesigen Mäulern, die sich um Fisch stritten und sich bitter beschimpften. Seid doch still, fuhr es ihr durch den Kopf, seid doch still, lasst mich schlafen …
    Doch das Gekreische verstummte nicht, sondern wurde immer schriller; sie hob den Kopf, öffnete die geschwollenen Augen und sah, dass es keine Vögel waren, die da stritten, sondern Menschen – die chilenischen Soldaten nämlich, die über irgendetwas erbost schienen. Sie rieb sich die müden Augen, blickte sich um. Ihr Vater lag reglos da und starrte an die Decke; er schien nicht zu bemerken, dass Annelie seine Hand genommen hatte. Christine hatte das Katherl an sich gezogen und streichelte über ihre Wangen, ohne sich um das Gezänk zu scheren. Jules Blick hingegen war aufmerksam auf die Männer gerichtet, genauso wie der von Cornelius.
    »Was geht hier vor?«, fragte Elisa. Sämtliche Glieder schmerzten, als sie sich aufrichtete, aber sie fühlte sich ausgeruht.
    »Sie streiten, aber ich kann nicht genau verstehen, worüber. Sie sprechen ein ganz anderes Spanisch als das, was ich gelernt habe. Offenbar geht es darum, was sie mit uns machen sollen. Einer will uns nach Melipulli schicken.«
    »Wo ist das?«
    »Ich weiß es nicht«, gab Cornelius zu. »Und immer wieder fällt der Name eines gewissen Vicente Pérez Rosales. Aber wer das ist, weiß ich auch nicht.«
    Elisa ließ sich zurücksinken. Die Müdigkeit war von ihr gewichen, stattdessen befiel sie tiefe Mutlosigkeit. Sie waren hierhergekommen, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen – und nun waren sie einer Horde Soldaten ausgeliefert, die sich uneins waren, was mit ihnen geschehen sollte.
    Immer lauter wurde ihr Streit, immer heftiger die Gesten, die ihn begleiteten. Doch plötzlich ertönte ein Ruf, und das Stimmengewirr erstarb. Die Soldaten fuhren herum, Elisa blickte wieder auf. Sie hatte erwartet, dass sich ein Offizier einschaltete, seine Männer beruhigte und klare Befehle erteilte, doch der Mann, der nun die Baracke betrat, trug keine Uniform. Noch erstaunter war sie, als er zu reden anfing – nicht etwa im fremden Spanisch, sondern auf Deutsch.
    »Habt keine Sorge«, er wandte sich an sie alle. »Ich kümmere mich ab jetzt um euch.«
    Eine Weile blieben die spanischen Soldaten noch in der Baracke stehen – zögerlich die einen, sichtlich erleichtert über die Einmischung die anderen. Doch nachdem der Fremde entschlossen auf sie eingeredet hatte, verschwanden sie.
    »Herzlich willkommen, Landsleute!«, rief der Fremde aus, so begeistert, als würde er gute Freunde nach langer, schmerzhafter Trennung wieder in die Arme schließen. Die Blicke, die ihn trafen, waren müde. Nur Fritz musterte den Fremden eindringlich.
    »Sie sind auch aus Deutschland?«, fragte er.
    Die Hosen des Mannes glänzten speckig, waren jedoch nicht so zerrissen wie die Lumpen, die sie selbst am Leibe trugen; die Haut seines Gesichts zwar aufgedunsen und großporig, doch nicht bleich und salzverkrustet wie ihre. Über einem eng geschnallten Ledergürtel wölbte sich ein stattlicher Leib.
    »Konrad Weber ist mein Name.« Er trat näher und setzte ein joviales Lächeln auf. Der Blick, den er durch den Raum kreisen ließ, wirkte jedoch kalt. »Ich weiß, was hinter euch liegt, ich weiß es ganz genau. Vor fünf Jahren habe ich selbst diese lange und gefährliche Reise angetreten. Mit meiner Frau und meinen zwei Söhnen. Wir gehörten zu den Ersten, die nach Chile abgeworben wurden – zu den neun hessischen Handwerkerfamilien nämlich, die mit der Catalina nach Corral gesegelt sind. Von dort ging es weiter nach Valdivia. Die Hokels, Aubels, Hollsteins, Bachmanns und Krämers reisten mit uns. Ihr müsst erschöpft und

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