Im Land der Feuerblume: Roman
sorgt nun für uns?«
»Es ist in den letzten Jahren vieles schiefgelaufen, man muss es leider so sagen. Es hat einigen mächtigen Männern nicht gepasst, dass vor allem Protestanten aus Deutschland kamen, um ihr brav katholisches Land – wie sie sich ausdrückten – zu verseuchen. Land wurde vergeben – und dann wieder zurückgenommen. Besagter Rosales ist als Auswanderungsagent völlig überfordert …«
»Ist er den Protestanten denn auch feindselig gesinnt?«, rief jemand entsetzt dazwischen.
»Das nicht. Rosales ist es gleich, welcher Art der Pfaffen ihr nachrennt«, Konrad Weber lachte schrill auf. »Aber es steht ihm mittlerweile kein Land mehr zur Verfügung, das er verteilen könnte. Vor einiger Zeit hat er die Isla Teja für die Einwanderer erworben, doch sämtliche Parzellen dort wurden bereits vergeben. Nun sucht er verzweifelt neues Land, um die Versprechen, die Philippi gegeben hat, einzuhalten. Aber die Chilenen, diese Schurken, verkaufen es viel zu teuer, und ständig gibt es Streitigkeiten darüber, wem was gehört. Da das Land so groß und die Zahl der Menschen so gering ist, möchte man ja nicht meinen, dass es knapp werden könnte. Doch wo immer ein Spanier ruft: ›Dieses Stück Urwald können wir ohnehin nicht gebrauchen, überlasst es lieber tüchtigen Fremden‹, so geht eine verfluchte Rothaut dazwischen und pocht darauf, dass hier schon ihre Vorfahren gelebt hätten. Nun hat die Regierung entschieden, eine große Inventur durchzuführen, ehe man den Deutschen neuen Grundbesitz zuteilt. Doch Gottes Mühlen mahlen in diesem Land langsam. Dergleichen Vorhaben können Jahre in Anspruch nehmen. Tja«, er zuckte mit den Schultern, »man hat euch unter falschem Vorwand hierhergelockt. Chile ist nicht das gelobte Land.«
»Und das sollen wir Ihnen glauben?«, begehrte Fritz auf. Elisa hatte nicht gesehen, dass er aufgesprungen war. Er hielt das Katherl immer noch in den Händen, achtete in seiner Empörung jedoch nicht darauf, dass ihr Kopf wild hin und her fiel. Rasch trat Christine auf ihn zu und entriss ihm das Mädchen. »Wenn es so ist, wie Sie sagen, dann soll uns das dieser Auswandereragent Rosales ins Gesicht sagen, und dann …«
»Und wie wollt ihr zu ihm gelangen?«, unterbrach Konrad ihn bissig. »Meist verschanzt er sich in Valparaíso. Doch gesetzt, er hielte sich in Melipulli auf – die Reise dorthin währt an die acht Tage. Habt ihr etwa ausreichend Proviant, um diese Zeit durchzustehen? Eins kann ich euch sagen: Hofft lieber nicht darauf, dass man euch hier versorgt. Wenn ihr Glück habt, findet ihr am Strand ein paar Muscheln, die ihr roh verzehren könnt.«
»Zum Teufel! Man hat uns also hierhergelockt, damit wir am Hunger krepieren?«
Elisa zuckte ob der lauten Stimme zusammen. Es war Lambert Mielhahn, der so ärgerlich brüllte. Seit ihrer Ankunft war sie derart im eigenen Elend gefangen gewesen, dass sie weder auf ihn noch auf Greta und Viktor geachtet und sich nicht gefragt hatte, wie sie mit dem Tod der Mutter zurechtkamen.
In Lambert Mielhahns Gesicht spiegelte sich nun keinerlei Trauer mehr – nur immense Wut. Viktor duckte sich; er schien viel geweint zu haben, denn seine Augen waren gerötet. Nur Greta lächelte sanft. Sie hatte ihre Arme um die Knie geschlungen und schaukelte vor und zurück. Das Geschrei ihres Vaters, das unvermindert seinen Fortgang nahm, schien an ihr abzuprallen; die Augen wirkten ähnlich starr wie die von Katherl, aber in ihnen lag ein derart sonderlicher Glanz, der Elisa unwillkürlich Angst machte.
»Verflucht!«, brüllte Lambert. »So sind wir also von Betrügern, Verrätern und Ausbeutern umgeben! Ein Skandal ist das, ein Verbrechen! Wie konnte man uns nur …«
»Gemach, gemach!« Konrad Weber war grinsend auf ihn zugeschritten, ließ dann den Blick wieder über sie alle kreisen. »Ich wollte euch doch keine Angst machen, euch nur erklären: Den Menschen hier ist nicht zu trauen. Die Regierung entscheidet heute das eine und morgen das andere. Aber ich … ich bin euer Landsmann, ich kann für euch sorgen.«
Elisa war sich nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Für sie sorgen? Meinte er, er würde für ihr Recht auf eigenes Land eintreten?
»Wie gesagt«, fuhr er fort. »Ich hatte das Glück, dass ich zu den ersten Einwanderern gehörte. Kurze Zeit lebte ich in Valdivia, aber dort kann man nur als Handwerker überstehen, nicht als Bauer. Ich habe allerdings nicht darauf gewartet, dass sich irgendjemand
Weitere Kostenlose Bücher