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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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sechzehn Jahren begann die zweite, die schauerliche Hälfte ihres bisherigen Lebens. Mit einem Klischee fing es an: Einer kommt vorbei und verspricht die Liebe. Nachdem er die Verliebte geschwängert hat, zieht der Versprecher samt Liebe wieder aus und rennt davon. Das Kind kommt. Die Mutter gilt als ausnehmend schön. Ein nächster Mann taucht auf, diesmal bewaffnet. Wohl bedacht. Die Beretta hilft ihm beim Vergewaltigen der Schönen. Clou: Der Unhold wird von zwei anderen Männern für seine Gewalt bezahlt. Kein Racheakt, nur Spaß.
    Vera erinnert sich des folgenden Bildes im Augenblick der Tat: Ein Schwarzer vergewaltigt eine Schwarze, während zwei Weiße dabei zuschauen. Und sie erinnert sich, wie der Waffenbesitzer sein Geschäft zu Ende bringt und die Auftraggeber ihn ordnungsgemäß entlohnen: cash.
    Sie hat noch nicht genug. Ihr nun seit acht Jahren letzter Mann taucht auf, Tom, der Stahlarbeiter und Footballspieler. Mit ihm entschließt sie sich zum heiligen Sakrament der Ehe. Tom ist ein eher schweigsamer Zeitgenosse, von detaillierten Diskussionen hält er nichts. Per Handschlag und Kinnhaken regelt er hausinterne Differenzen. Wenn er sie nachts auffordert, die Beine zu spreizen, um sich ihren Körper als Abschussrampe für seine hastigen Bedürfnisse zurechtzulegen, dann, ja dann betet die schöne Vera für ihren Ehegatten, den gerade auf- und niederkeuchenden 240-Pfünder.
    »Und Hass haben Sie dabei nie empfunden?« frage ich. Und die Schöne: »Nein, niemals.«
    Acht Jahre lang dient sie Tom nun als Sparringspartner und Sexliege. Kein Ausweg in Sicht, ihr von Bibelsprüchen geknebelter Kopf ist außerstande, nach einem Notausgang zu suchen. Nicht einmal einen heimlichen, verschmusten Liebhaber schafft sie. An Trennung, geschweige denn Scheidung, wagt sie nicht zu denken. Vormittags arbeitet sie in einer Bank, nachmittags leitet sie einen Friseurladen. Ganztägig träumt sie von einer beulenfreien Existenz als Modedesignerin.
    »Bis dass der Tod euch scheidet«: Unerbittlich hängt sie an ihrem Gelübde. Sie hat noch immer nicht begriffen, dass ihre Familie als kleinste terroristische Zelle funktioniert. Und dass sie beide, die Eheleute, den harten Kern der Szene bilden. Das Weib als hilfloses Opfer, der Schwanzträger als ebenso hilflose Bestie.
    Leute wie Vera faszinieren. Eine attraktive, denkende Frau verspielt ihr Leben. Warum nur, warum? Ist es diese typische Frauendummheit, die noch nach tausend Niederträchtigkeiten an die Wiederauferstehung der Liebe glaubt? Oder die banale Feigheit vor dem Alleinsein, das unerbittliche Verlangen nach Nähe? Und wäre es die Nähe eines Boxers, der ausholt, statt zu umarmen?
    Als wir uns verabschieden, packt sie die Bibel wieder sorgfältig ein. In einer Kleinstadt steigt sie aus, ich helfe ihr noch, die Sporttasche auszuladen. Plötzlich fällt mir ein, sie zu fragen, wo sie heute unterwegs war. Und Vera: »In einer größeren Stadt, hundert Meilen von hier.« Um sich die Beulen und die Abschürfungen von einem fremden Arzt untersuchen zu lassen. Und die Blessuren am ramponierten Unterleib. Hier würde zuviel geredet. Erführe der Boxer, dass sie wegen häuslicher Gewalt in Behandlung sei, er würde sie k. o. hauen.
    Nach der Geschichte habe ich Kopfweh, eine Stunde später bin ich in Charlotte. Von diesem Ort, der aussieht wie ein in Beton gegossener Pavianarsch, wüsste ich im Augenblick nur zwei Dinge zu berichten: dass vor genau zweihundert Jahren Horden von Goldgräbern hier vorbeikamen und dass ich einen gigantischen Brüller vernehme, als ich den Bus verlasse. Grüne Missgunst überkommt mich, ich blicke nach rechts auf das halogengrell erleuchtete Ericsson-Stadion und weiß sogleich, was es geschlagen hat: Die Rolling Stones sind in der Stadt!
    Mick Jagger, 54 Jahre und mindestens 54facher Millionär, und Spezi Keith Richards – böse Zungen behaupten, er sei gerade, frisch genesen von einer Lebertransplantation, eingeflogen – grölen noch immer » I can’t get no satisfaction «. Wie ich sie beneide. Auch um die 54 Millionen. Aber noch heftiger um die 58 000 Zuschauer, die sich wochenlang um die Tickets für Uralt-Rock rauften. Was für gerissene Burschen: noch dreißig Jahre später nichts Neues bieten zu müssen. Seltsamerweise assoziiere ich mit den fünf Rockern die viereckig schwarze Brille von Nana Mouskouri. Auch so ein unvergessliches Symbol für Einfallslosigkeit und die Unfähigkeit, aufhören zu können.
    Jeder Schreiber beneidet

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