Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
Vom Netzwerk:
solche Musiker, das ist ein nicht auszurottendes Grundgefühl. Wer von uns träumte nicht von einer öffentlichen Lesung vor 58 000 Leidenschaftlichen, die zu jedem Zweikampf bereit sind, um hier dabei zu sein? Von Hubschraubern über den Massen – crowd control – und dem ungeheuerlichen Gefühl, dass man jetzt vorlesen darf, ja muss, was man schon vor einer langen Generation geschrieben und millionenfach veröffentlicht hat. Wer träumte nicht von der berückenden Aussicht, dass die 58 000 nach der Lektüre in ein d elirium tremens taumeln würden, so umgeworfen von den alten Hüten unserer Kreativität?
    Die Wirklichkeit sieht um Nuancen anders aus. Ich stehe mit meinem Rucksack – Mick soll, so steht’s in der Zeitung, mit allein acht Hemdenkoffern angereist sein – an der finsteren, newsabgewandten Seite der Greyhound-Station. Um ein Taxi zu einem bescheidenen Motel abzustoppen. Heikel, denn ich höre drei vorbeirauschende Fahrer mir überrascht zurufen, ich solle in zwei Stunden wiederkommen. Denn jetzt seien sie auf dem Weg zum Stadion. Ob ich nicht gehört hätte, dass die Stones aufspielen? Ich halluziniere gleich nochmals: von drei Taxifahrern, die eine teure Fuhre ausschlagen, um zu meiner Lesung zu preschen.
    Aber irgendwann hält Faïs an, ein Pakistani, von Peshawar nach Charlotte verzogen. Er lädt mich auf, denn er braucht mein Geld. Der Ex-Gatte seiner Frau fordert ihn heraus, will die Gattin zurück. Mit Einverständnis von Kadambari – Frau und Ex-Frau – hat Faïs seinen Vorgänger verprügelt. Verwirrenderweise heißt der auch Faïs. Nun steht eine Gerichtsverhandlung an. Faïs gegen Faïs. So muss mein Faïs Nachtschichten fahren, um den Anwalt zu bezahlen. Unsere gemeinsame Zeit – weit hinaus an den Stadtrand, alle anderen Betten sind seit Wochen beschlagnahmt von den 58 000 – vergeht rasch. Wir denken laut über Ausreden nach, um dem Gericht schlüssig zu erklären, warum der andere Faïs die Abreibung verdiente.
    Mehr als eine Nacht meines Lebens will ich mir Charlotte nicht zumuten. Wer hier länger ausharrt, muss mit genetischen Veränderungen rechnen. Um 8.30 Uhr am nächsten Morgen stehe ich an der Rezeption meines Motels und frage nach einem Bus Richtung Stadtmitte. Eine interessante Begebenheit folgt: Mister Taylor überkommt der Gesichtsausdruck eines Mannes, der intensiv darüber nachdenkt, was das Wort »Bus« bedeuten und wie ein solcher Gegenstand aussehen könnte. Er gesteht mir grinsend, dass ihn noch nie ein Mensch in dieser Gegend nach einem Bus gefragt hätte. » You mean a bus to ride? « Da ich augenblicklich von keinem anderen Zweck weiß, sage ich tapfer: »Ja, einen Bus, um damit zu fahren.«
    Der Portier ist ein hilfsbereiter Mensch, er ruft seinen Freund Stan an, den Tankstellenbesitzer. Vielleicht hat der schon einmal einen Bus gesehen. Auch Stan nicht. Aber, »einen Moment, bleib dran«, Stan will seine Kunden fragen, denn er verkauft neben Benzin auch Frühstücke. Und tatsächlich, er findet einen anderen Asozialen (der erste bin ich), der weiß, dass es zwei Kurven weiter eine Haltestelle gibt.

ATLANTA
    Vor Jahren schenkte mir ein Guru in Indien einen gescheiten Satz: » Take it as a gift .« Akzeptiere es als Geschenk! Gerade dann, wenn dir Widriges widerfährt. Wie jetzt, da ich eine halbe Stunde brauche, um im zivilisiertesten Land der Welt den Standort einer Bushaltestelle zu ermitteln. Und nach dieser halben Stunde nochmals achtzig Minuten neben der Haltestelle herumstehen muss, um endlich einsteigen zu können.
    Aber die Belohnung, das Geschenk, kommt prompt. Ich nehme Platz neben Radjuat Singh, einem Sikh, der in Charlotte zu Besuch ist. Voller Enthusiasmus erzählt er von seinem Sohn, der hier Medizin studiere. Bald habe er es geschafft und sei selbstständiger Arzt. »Plus«, Singh hebt die Stimme, »plus Goldmedaillengewinner in Psychologie.« Denn in Amritsar habe der tüchtige Sohnemann seine Studien bereits abgeschlossen.
    Ich finde, dass zwei Stunden Warten nicht zu viel sind für ein so fernes, so märchenschönes Wort wie »Goldmedaillengewinner in Psychologie«. Um Viertel nach zwölf sitze ich im Americruiser nach Atlanta. Jeder Platz besetzt. Mancher schwer und üppig, belegt von gewaltigen Körpern. Nach dem dünnen Mister Singh fallen mir wieder die Dicken auf. Und ich bemerke zum ersten Mal, dass sie auch mehr Gepäck schleppen als die anderen. Dadurch erscheinen sie noch dicker. Sogar ein weiches Kissen balancieren sie zu

Weitere Kostenlose Bücher