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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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One Night ein. Er gehört mit zu dem halben Dutzend Filmen, in denen ein Greyhound-Bus eine zentrale Rolle spielt. Mitte der Dreißiger hatte der von Frank Capra inszenierte Streifen gehörig zur Popularität des Unternehmens beigetragen.
    Warum ist mein Leben so weit weg von Hollywood? Warum bin ich nicht der smarte Clark Gable, der einen rugged hard-nosed newspaper reporter in diesem Film verkörpert und spätestens nach einer Stunde – auf einer Sitzbank weit hinten – den Arm um die Pfirsichschultern der Schönen neben sich legt? Und warum ist Eva nicht die Schöne? Warum sind ihre Schultern mindestens zwanzig Kilo schwerer als die von Claudette Colbert? Und warum bin ich nicht Clark der Coole, der fehlerlos und zielsicher zum ersten Kuss ansetzt?
    Warum bin ich nur ich, der jetzt mit ansehen muss, wie die liebe Dicke den Walkman rauszieht und einen kriegerischen Rap abspielt? Mich nun ermordet mit einer finsteren Ballade auf alle, die Rap-Warrior Just Ice schon immer verachtete: » Faggots, bitches, look how their ass switches. They see Just Ice come and they move before they get stitches. Persistent, insistent, nothing changed, nothing different. A bullet or a bat, just pick it .«
    Damit ich mich nicht auf die Suche nach einer Keule mache, um den höllischen Walkman zu demolieren, verführe ich Eva zum Reden. Und ein kleines Wunder passiert. Aus der großen, breiten, den hässlich grässlichen Just Ice verehrenden Eva wird ein zarter Mensch, der in San Augustin, Florida, als Therapeutin arbeitet: für sieben Dollar fünfzig die Stunde in einem Haus voll kaputter Männer und Frauen. Alle traumatisiert von anderen Männern und Frauen, zumeist ihren Eltern, die sie so ausdauernd und hartnäckig misshandelten, dass die Misshandelten darüber den Verstand verloren. Und in manchen Fällen die Fähigkeit, sich leicht und unbeschwert fortzubewegen. Sie also nach rechts oder links umfallen oder nach Messern oder Gabeln Ausschau halten, um sie zum Zwecke der Selbstverstümmelung gegen den eigenen für so nutzlos erachteten Körper einzusetzen.
    Aber die meisten sind fröhlich, sagt Eva. Und ihr Stundenlohn sei in Ordnung. Auch wenn die Arbeit an ihren Reserven nage. Aber sie bekomme einen Haufen Liebe, die Kaputten verschenkten hemmungslos Gefühle, denn – und Eva formuliert es kerzengerade – : »Sie haben nicht mehr genug Hirn, um darüber nachzudenken, ob Liebehergeben gut ausgehen wird oder nicht. Sie geben sie her ohne Vorverhandlungen.«
    Spätnachts komme ich nach Nashville. Die Taxifahrerin, die mich zu meinem Motel bringt, fragt, warum ich da bin und ob ich hierherziehen möchte. Ihr – wir fahren gerade meilenweit an Frittenbuden und Exxon-Tankstellen vorbei – gefalle es hier sehr. Augenblicklich denke ich an meinen Freund Azen, mit dem ich einst in Nyala, seiner Heimatstadt im Westen Sudans, eintraf und der voller Freude ausrief: » It’s a beautiful city, isn’t it? « Und ich nichts als ein elendes Drecksloch wahrnahm, ausgedörrt, mit über Abfallhaufen kriechenden Frauen und Kindern, ausgehungert, auf der Suche nach Nahrung für die nächsten zwei Stunden. Aber hier in diesem Kral lebten die Menschen, die er liebte. Also musste es hier schön sein. Heimat ist ein magisches Wort.
    Nicht anders für Fanny, die Taxilady. Alles, was den Eingeborenen von Nyala und Nashville ihre Wohnorte begehrenswert erscheinen lässt, entgeht dem schnellen Besucher. Er liebt niemanden hier und er hat noch nie etwas Schönes hier erlebt. Und was er sieht, ist von herzaufschneidender Hässlichkeit.
    Aber der lange Tag endet heiter. Mein Körper ist zu müde, um gleich schlafen zu können. Ich schalte den Fernseher in meinem Zimmer ein und sehe einen adrett gekleideten Herrn mit goldener Armbanduhr vor einem mickymausblauen Swimmingpool. Er erzählt mir und Millionen anderen Menschen, dass wir alle in ein paar Wochen Millionäre, »nein, was erzähle ich Ihnen: Millionen von Millionären« werden könnten. Aber wir müssten sofort anrufen und » Secrets to Money Making – NOW! « bestellen.
    Dann kommen die dran, die bereits bestellt haben, die drei Wochen alten Millionäre: Sie wüssten heute nicht mehr wie weiterleben, hätten sie nicht damals – nicht damals, nein, vor drei Wochen – angerufen, um die Videokassette mit den Geheimnissen zur tonnenweisen Geldbeschaffung zu ordern. Das sieht echt aus, denn keine playboyschönen Köpfe tauchen auf, sondern dicke und dickere Zeitgenossen, alle erregt von der

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