Im Land der Freien
beruhigt, so weiß man die neuen Herren der Welt, die Rasse der Geschäftemacher, wohlversorgt. Mit der Financial Times und der world watch , welche die Uhrzeiten der wichtigsten Börsenplätze der Welt zeigt, unterwegs, rufen sie zwischendurch 1–800-Express-Connection an. Für den Kreditkarten-Expressfick.
Noch eine Nachricht. Und die berichtet vom guten alten communitarism , jener typisch amerikanischen Hilfsbereitschaft innerhalb der Gemeinde. Stolz vermeldet der Verein Hands on Nashville unter anderem, dass am letzten Wochenende kostenlos 1102 schmutzige Fenster geputzt, 30 Hunde ausgeführt und 43 Katzen beaufsichtigt wurden.
Nashville ist anders. Von der Tatsache einmal abgesehen, dass es die Hauptstadt von Tennessee ist, jenem Erdteil, der weltweit am meisten Bibeln produziert. Beim Frühstück las ich mehrere Artikel über den berühmtesten Ausfuhrartikel dieser Stadt, den country singer . Die meisten von ihnen sehen aus wie frisch gewaschene Cowboys mit Blechkrawatten, die auf der Fiedel geigen oder die Gitarre klimpern und sich dabei mit so ergreifenden Texten verausgaben wie: »Ich weiß, du bist glücklich, und ich bin glücklich, dass du glücklich bist.« Die kreativsten unter ihnen jodeln zwischendurch, munter und elektrisch.
Wie das Bild täuscht. Wer sich hineingräbt, wird die Dramatik und Tiefe ihres Daseins erkennen. Die meisten von ihnen kommen gerade von einer Entziehungskur zurück oder einer Keilerei oder der inzwischen dritten Scheidung. Des Öfteren ist der Leser eines Interviews dabei, wie der Interviewte vor dem Journalisten die Hand ausstreckt: klarer Beweis, dass die Kur angeschlagen hat und das Zittern vorbei ist. Und dass der Ex-Zitterer wieder zurückgefunden hat zu den Familienwerten, die in Amerika immer mit Abstinenz anfangen.
Neben einem solchen Interview leuchtete das Farbfoto eines Sängers. Und die Zeitung rätselte, warum der Typ so viel Erfolg hat: »Ist es nur, weil der einfach aberwitzig gut aussieht?« Und wir, die Leser, lernen, dass selbst aberwitzig gut aussehen in der Bibelhauptstadt etwas anderes bedeutet als in anderen Teilen der Welt. Denn wir blicken auf ein liebdoofes Mondgesicht, das nur so strotzt vor vitaminpraller und proteinreicher Ernährung. Ein Hit dieses Schönlings heißt: » I am no stranger to the rain «. Toll aussehen und so schreiben können, das ist ungerecht.
Als ich an einer Plakette vorbeikomme, die der Nashville Optimistic Club hat installieren lassen, bin ich da. Die Stadt präsentiert sich in Bombenform, ein weicher blauer Himmel, eine hautfreundliche Brise, ich schlendere durch die bekannte Historic Second Avenue. Man weiß nicht gleich, ob sie hier gerade für den Karneval geschmückt haben oder ob es so im ganz normalen Leben aussieht: Zwischen Wild Horse Saloon und Elvis Presley Mart stehen Läden voller Hillbilly-Devotionalien, vollgestopft mit runden Familienvätern in Fransenjacken und runden Ladies in genieteten Cowboystiefeln, alle auf der Suche nach den Preziosen des örtlichen Kunsthandwerks.
Zwei potente Mantras peitschen sie hinein. Das eine schreit über Lautsprecher: » Buy two, get three .« Kauft einer zwei pinkfarbene Jeansgürtel, so ist der dritte umsonst. Und das andere Mantra ist auf gerissene Weise der wohl wahrste Spruch einer im Konsumwahn taumelnden Gesellschaft: » The more you buy the more you save .« Die meisten Gegenstände sehen rosa aus und ähneln – würde man mit Farbe statt mit Noten komponieren – der Musik vor Ort.
Ist ein Pärchen mutig und rosa genug, betritt es ein Fun Studio , um sich dort auf eine Bühne zu begeben, eine Gitarre in der Hand zu halten und gemeinsam zum Playback von, sagen wir, » The moon is shining on your face « in ein Karaoke-Mikrofon zu trällern. Der Gag des Hauses: Die beiden werden dabei gefilmt, die Videokassette ist im Preis inbegriffen.
An der Tür des Brewery Pub hängen die ausgedruckten Internet-Hymnen glückseliger Gäste. Bill Tagarty aus Nebraska macht mit klaren, einfachen Worten seinem Herzen Luft: » Great beer, excellent pizza, sensational vanilla cream. All making me wish I lived in Nashville .«
Als Aristoteles die Agora von Athen betrat, soll er erleichtert ausgerufen haben: »Noch nie sah ich so viele Dinge, die ich nicht brauche.« Ach, wie erleichtert wäre er hier von dannen gegangen.
Reisen durch die USA , das ist auch ein Crashkurs in Toleranz, die Gewöhnung an schier unfassbare Gedanken und Wirklichkeiten.
Aber die Biker, die
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