Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
Vom Netzwerk:
auf den Weg: flackernde Straßenlampen, die eingezäunten Autohalden der Gebrauchtwagenhändler, vorbei an verlassenen Häusern, einem vergitterten Waffengeschäft, querliegendem Müll, Flaschen, Tüten, Bierdosen, hingeschleudert vom durchbrausenden Verkehr, in weiter Ferne leuchtet eine Tankstelle, der Tiger Mart . Ich will Milch und drei Riegel Schokolade kaufen.
    Als ich ankomme, darf ich nicht rein: » I can’t let you in «, erklärt mir der Boss über Lautsprecher hinterm Panzerglas. »Warum nicht?«, frage ich blöd. Keine Antwort, nur die Wiederholung der Durchsage, dass ich draußen bleiben muss. Das überrascht, glaube ich doch noch Anzeichen von Zivilisation an mir zu entdecken. Was machen die erst mit einem, der weniger adrett daherkommt? Hungrig und umsichtiger denn je – vielleicht war der Laden dicht, weil gerade ein verdächtiges Subjekt unterwegs ist – kehre ich in mein Zimmer zurück, das jetzt nach frisch versprühtem Gift riecht. Ich erfahre, dass gerade der Kammerjäger vorbeischaute. Ob der immer um Mitternacht kommt? Der Tüchtige benutze ein Produkt, so erläutert mir Jim, der hier nachts als schwerbewaffneter Aufpasser unterwegs ist, das 300 Kakerlaken in zehn Sekunden tötet. Jims imperiale Sprache beruhigt, ich weiß jetzt, dass nun mindestens neuntausend Kakerlaken – mindestens fünf Minuten lang wurde gesprüht – in meiner nächsten Umgebung tot sind.
    Ich will mich nicht beschweren. Auch nicht über Memphis, nicht über seine hurenden Kokainsüchtigen, seine düsteren Highways und fruchtbaren Küchenschaben. Weil ein Schreiber nichts zu schreiben wüsste über die unheilbar Gesunden, über den Durchschnittstypen, das Mädchen von nebenan und das brave Leben der lebenslang Braven und Stillen. Gut, dass es sie gibt. Und wie gut, dass ein paar andere, die Lauten, die Schrillen, die Auflehner, die Kaputten und Krummen, auch da sind. Sie erinnern die Unverletzbaren an die einzige Todsünde, derer sie sich ununterbrochen schuldig machen: dass sie nicht leben. Dass sie tatsächlich glauben, es gäbe noch ein anderes, ein späteres Dasein. Sie sich weigern zu begreifen, dass sie froh sein müssen, wenn sie immerhin ein Leben vor dem Tod gehabt haben. Jack Kerouac schrieb es ebenso imponierend wie pathetisch nieder: »Das Leben ist heilig und jeder Augenblick kostbar.«
    Alle bisherigen Städte lagen am Weg, eher zufällig legte ich bei ihnen eine Zwischenstation ein. Anders Memphis. Hierher trieb mich die reinste Liebe, ein Gelübde, das dringende Bedürfnis, mich zu revanchieren. Dem Mann, der hier vor zwanzig Jahren starb, verdanke ich mindestens tausend Stunden Glück. Immer wenn ich ihn hörte, wurde ich sentimental, sinnlich oder einfach happy. Er war einer der ersten, die mir beibrachten, dass Schreiber gegen Musiker nichts ausrichten. Dass Musik radikaler verführt als Sprache.
    In manchen Augenblicken fragte ich mich, ob ich ihm nicht Tantiemen schulde. Es waren jene Momente, in denen ich mich anschickte, eine Frau für mich zu begeistern. Und um dieses Unternehmen so elegant wie nur denkbar dem einen Ziel näherzubringen, legte ich seine Platten auf. Noch heute könnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen, was den Ausschlag gab: meine Bemühungen oder sein shmaltz (sprich: schmolz ), sein seliges Wimmern und Heulen.
    Vorgeschichte: Vor mehr als 150 Jahren flohen die Chickasaw-Indianer ostwärts, um den vordringenden mordenden Siedlern zu entkommen. Der Große Geist riet ihnen, jeden Abend in der Mitte des Camps den magic pole zu errichten. Und der magische Pfahl neigte sich immer östlich. Also flohen sie stets in diese Richtung. Eines Morgens fanden sie den Pfosten unverändert. So blieben sie und nannten den Ort »Topola«, Rastplatz. Sie überlebten. Ein langes Jahrhundert später – das zwei Autostunden östlich von Memphis gelegene Kuhdorf hieß inzwischen Tupelo – wurden hier einer armen Frau Zwillingssöhne geboren. Der erste hieß Jesse Garon und war tot, als er zur Welt kam. Der Zweitgeborene hieß Elvis Aaron und brüllte unverzüglich nach den Brüsten seiner Mutter. The King was born . Wie logisch, dass er allein überlebte. Neben ihm war kein Platz für einen zweiten. Da gibt es Statistiken, die sagen, dass die vielen unter diesen oder jenen Umständen keine Chance haben. Und dann gibt es das Wunder, den Helden, das Einzelstück, einen, der seinen Weg geht, einen, der alles widerruft.
    Der U. S. Highway 51 South heißt auch Elvis Presley Boulevard . Am nächsten

Weitere Kostenlose Bücher