Im Land der Freien
Morgen wandere ich die Straße nochmals entlang, um endlich an dem Ort anzukommen, an dem ich längst hätte ankommen sollen: » Graceland – House of Elvis A. Presley. 3717 Elvis Presley Boulevard, Memphis TN 38 116.« Als ich davorstehe, bin ich zu feige, um nachzugeben. Fünfzig andere stehen auch davor, die Mutigeren heulen ergriffen drauflos.
Das muss zügellose Anbetung sein: eine gute Stunde vor Mitternacht Memphis betreten, hungernd einschlafen, zweimal an einem der hässlichsten Highways des modernen Straßenbaus entlanggehen und nicht davor zurückschrecken, an der Kasse der Elvis Presley Enterprises ein » Platinum Tour Package «-Ticket zu erstehen. Aber ich fühle mich beschützt, bin unauffällig im Kreis anderer – 2049 heute, 750 000 im Jahr – Leidenschaftlicher, die nun die in Fünf-Minuten-Intervallen abfahrenden Busse besteigen, um die andere Straßenseite zu erreichen.
Typisch Elvis: Eine Straße gehend zu überqueren – selbst wenn eine eigene Ampel den Verkehr abstoppt – kommt nicht in Frage. Einen König besucht man nicht zu Fuß, man fährt vor. Auf den achtzig Metern vom Gartentor bis zur Haustür fällt mir noch auf, dass ich mich doch geringfügig von den anderen 2048 unterscheide. Durch mein eher biederes Auftreten. Sehen doch die anderen – ganz im Einklang mit der Kleiderordnung des Meisters – aus wie lebende Leuchtraketen: pinkgrüne T-Shirts, hellrosa fluoreszierende Turnhosen, Sneakers und spiegelglitzernde Sonnenbrillen.
So sei noch ein ganz persönlicher Rat erlaubt: Wer immer als Nicht-Yankee hier vorbeikommt, um dem Giganten die letzte Ehre zu erweisen, der sollte sich geistig gründlich darauf vorbereiten. Denn Elvis war unter anderem auch Weltmeister aller zwischen Himmel und Erde vorstellbaren Geschmacklosigkeiten. Die Inneneinrichtung von Graceland – schon der Anblick von Fotos lässt in Ohnmacht sinken – verspricht härteste Anforderungen an feinnervige Zeitgenossen.
Vier Jahre bevor er 1957 hier einzog, entstand eine der aufregendsten Legenden seines Lebens. Der völlig unbekannte Achtzehnjährige machte sich auf den Weg zu den Sun Studios, um auf eigene Kosten eine Platte für den Geburtstag seiner Mutter aufzunehmen. Als er eintrat, fragte ihn der Mann am Mischpult (in anderen Versionen fragten ihn die Sekretärin oder der Besitzer): » How do you sound like? « Und der Halbwüchsige wusste es längst: »I don’t sound like nobody.« Und ist die Geschichte hundertmal erfunden, so ist sie doch auf ewig und immer wahr.
Die Platinum Tour beginnt erfreulich. Zehn Sekunden lange Fahrt durch einen Park mit Bäumen aus dem Paradies, gedacht wohl als hilfloser Puffer gegen den sechsspurig vorbeikeuchenden Verkehr. Dann Ankunft, die Fassade von Graceland sieht gut aus, klare Linien, vier weiße, hohe Säulen stützen das im Greek-Revival-Stil erbaute Vordach. Erst hinter der Tür hat Elvis architektonisch eingegriffen. Hemmungslos eingegriffen. Gleich rechts im Erdgeschoss das Esszimmer, spanische Fenstergläser aus dem 17. Jahrhundert neben einem hellorangefarbenen Teppichboden. In der Mitte ein langer Tisch, Platz für vierzehn Personen, die vor Ort die Memphis Mafia genannt wurden, jeder Stuhl ein Beweis für Elvis’ notorische Großzügigkeit. Geld kam tonnenweise herein und flog tonnenweise hinaus. Zufällig gab es auch vierzehn Fernseher im Haus, hier im Esszimmer stand die Zwei-Zentner-Ikone links neben dem Sitzplatz des Hausherrn. Somit schien die Gefahr gebannt, dass jemals ein Augenblick der Stille den betriebsamen Lärm durchbrach.
Daneben die Küche. Drei Köche hantierten hier, Presley war Südstaatler, folglich ein guter Esser, später ein Vielfraß, immer wieder besessen von fixen kulinarischen Ideen, von denen er sich nur befreien konnte, indem er sie auslebte. Am hartnäckigsten scheint ihn die Meatloaf-Phase verfolgt zu haben. Sechs Monate lang jagte er von einem Fleischberg zum nächsten. Der King weigerte sich erfolgreich, erwachsen zu werden. Durchs Leben rannte er als Kind, besessen von Sehnsüchten, die er sich erfüllte. Sein Logo waren drei Buchstaben – TCB : » Taking care of business in a flash .« Kein Vielschwätzer, kein Nachdenklicher, eher ein Mover und Shaker, immer erdbebengefährdet, immer auf der Suche nach dem Thrill.
Und immer begleitet von schamlos ausgelebter Eitelkeit. Überall Spiegel, hier in Graceland gleich quadratmetergroß. War er unterwegs, dann puderte er sich mit Hilfe einer maßgeschneiderten vanity box
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