Im Land der Freien
Troubadour einkleidete und – fürstlich entlohnt – bat, unter dem Fenster meiner damaligen Flamme » You are my reason for living « zu seufzen, schön ölig und alle Strophen lang unterstützt vom Samt seiner Gitarre.
Vor der Mauer treffe ich Terence, ihn hat es noch schlimmer erwischt als mich. Seit Jahren springt er jede Woche in seinen jumpsuit , der Elvis’ berühmtem Kostüm nachgeschneidert ist, und fetzt vom fünfzig Meilen entfernten Holly Springs nach Graceland. Und jedesmal kritzelt er Namen und Ankunftsdatum in die Mauer entlang des Parks und unterschreibt stets mit: » Yours, very truly .« Wir wandern zum Tiger Mart . Und diesmal darf ich hinein. Nichts sieht harmloser aus als zwei trauernde Narren.
NEW ORLEANS
Weiter Richtung Süden durch Mississippi. Weites, flaches Land, weiß von endlosen Baumwollfeldern. Alle zehn Minuten ragt groß beschildert eine Weisheit christlicher Fundamentalisten in den Himmel, Reklameschilder für den lieben Gott. Der erfrischendste Spruch von allen: » To reject God is to accept Hell «, wer den Herrn zurückweist, fährt zur Hölle. Das sind klare Worte. Keiner wird hinterher sagen können, er habe nichts gewusst. Ich sehe es kommen, ich werde schmoren.
Mit etwas Pech wäre es schon heute passiert. Nach stillen Stunden unter einem strahlenden Vollmond erreiche ich spätnachts New Orleans. Allein und zügig gehe ich die O’Keefe Street entlang, den direkten Weg zu meinem Hotel. Wie immer in solchen Situationen halte ich mich eher ein paar Meter von den Fassaden der Anrainer entfernt. Für den Fall, dass es jemand auf meinen Rucksack oder mich oder beides abgesehen hat, bleibt eine Denksekunde, um zu reagieren. Aber die Gefahr, möglicherweise schon vorzeitig in der Hölle zu landen, kommt diesmal aus einer anderen Richtung, sie kommt mitten auf der Straße daher: Mit Blaulicht und Sirene braust ein Polizist auf seinem Motorrad auf mich zu, hält in zehn Meter Entfernung und schreit laut und deutlich in seinen formschön eingebauten Lautsprecher: » Stop! Don’t move! « Ich bleibe stehen. Routiniert und einem leiderfahrenen Sheriff nicht unähnlich, lockert der Mensch nun den Sicherheitsriemen an seinem Pistolenhalfter, legt den Suchscheinwerfer auf mich an und fragt gefasst: » What are you carrying on your right side? «
Jetzt erst verstehe ich, warum er ein Auge auf mich geworfen hat: Meine schwarze Gürteltasche – groß genug, um eine vollgeladene Derringer 38 Speed zu verstauen – scheint ihm zu missfallen. Mir entgeht nicht die Romantik der Situation. Allein auf weiter Flur, spätnachts, stehen sich zwei Männer gegenüber, wobei der eine den mutmaßlich Guten mimt und der andere den verdächtigen Bösen. Ich muss alles ausleeren – » move slowly « – und auf die Straße legen. Da bis zuletzt keine Pistole, kein Revolver zum Vorschein kommt, darf ich alles wieder einsammeln. Und weitergehen.
Willkommen in New Orleans. Vor Wochen las ich in Newsweek eine Story über die seit kurzem famosen Erfolge der Polizei gegen Mörder, Räuber und Vergewaltiger, gegen die scumbags , den bisher nimmermüden Abschaum dieser Stadt. Das liest man gerne, eingedenk der Tatsache, dass die schweren Jungs in der Big Easy genannten Stadt achtmal öfter zuschlugen als im bereits weltrekordkriminellen Landesdurchschnitt. Dass die hiesige Polizei – lange Jahre von ebenfalls spitzenwertnahen Korruptionsskandalen gebeutelt – nun einsame Wanderer mit Martinshorn und Flutlicht abfängt, halte ich allerdings für übertrieben.
Von Geburt an, so scheint es, unterhalte ich ein gespanntes Verhältnis zur Polizei. Noch immer weiß ich nicht, vor wem ich mich mehr fürchten muss, meinen Freunden und Helfern oder den anderen, die gleich von vornherein zugeben, dass sie weder hilfsbereit noch freundlich sind. Mit großen Schritten erledige ich den Rest der Strecke. Als ich leicht verschwitzt vor Nick, dem Nachtportier, ankomme, fragt er mich besorgt: » Did you come from the left side? « Ja, warum? » Left is bad, bad people .« Soll ich das nächste Mal von rechts kommen? Ich mag solche Typen wie Nick. Sie sind wie clevere Huren, sie stoßen umstandslos Bescheid, sie sind das geworden, was die englische Sprache so intelligent mit streetwise beschreibt. Einer, der sich auskennt auf den Straßen, die ihn umgeben.
Der selige Augenblick des Einschlafens verzögert sich. Aus dem Nebenzimmer kommen die Geräusche von zwei Männern beim Liebesspiel. Ich vermute mal, denn die Stimmen
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