Im Land der Freien
haben Hunger, weltweit. Und Fred kämpft für die Abschaffung des Hungers der Dicken.
Ich gehe ins Kaldi’s , eins der abgerisseneren Cafés in Louisiana. Obwohl New Orleans sich im bigottesten, stiernackigsten, judenfeindlichsten, homophobsten und innigst Schwarze verachtenden Bundesstaat Amerikas befindet, hat sich die Stadt selbst – dank ihrer internationalen Geschichte – ein gehöriges Maß an Frechheit und Toleranz bewahrt. Siehe die berüchtigte Bourbon Street, entlang derer die Schwulen ihre nackten Oberkörper und nachdrücklich rausgestreckten Unterleiber zelebrieren. Und wo die ehekujonierten Daddies – hundert Prozent heterosexuell und hochprozentig frustriert – einmal im Jahr hereinbrechen, um das zu tun, wovon sie den Rest der Zeit über heimlich und verbissen tagträumen: wildfremde, splitternackte Frauen anschauen, sich in dunklen Videokabinen entspannen und auf Hotelbetten die weit zurückgelassene Gemahlin betrügen.
Im Kaldi’s sitzen die schiefsten Typen der Stadt, Poeten, Wünschelrutengänger, Tätowierer, totenstille Nachdenker, begnadete Stubenhocker, unberührbare Leser und die höflichen Schnorrer, die sich mit einer leichten Verbeugung vorstellen und um einen Beitrag bitten, um über den Tag zu kommen. Die Atmosphäre ist harmonisch, es fällt kaum ein lautes Wort. Ein weiteres Plus: Der Zugang zu den Steckdosen ist kostenlos, jeder, der vorbeikommt, darf seinen Laptop anschließen.
» Kaldi « ist das jemenitische Wort für Kaffee. Eine Ziege, so berichten die Märchenerzähler vor Ort, entdeckte das Getränk. Und das kam so: Einem Hirten fiel auf, wie eines seiner Zicklein nach Genuss einer bestimmten Staude hellwach, ja leicht übermütig wurde. So probierte er selbst die dunklen Kirschen und wurde selbst hellwach und übermütig. Zufälligerweise hatte ein Mönch die Szene beobachtet, pflückte die Bohnen und brachte sie ins Kloster. Und so erfuhren nun die Mönchlein die wundersame Wirkung. Ein Gottesgeschenk, denn jetzt konnten sie beten und beten und beten, ohne dabei einzuschlafen.
Marian spricht mich an, sie trägt einen Koffer mit Voodoo-Artikeln herum, Sachen, die genau in dieses Kaffeehaus passen. Ich erstehe eine worry doll , eine Sorgenpuppe. Das ist ein Säckchen, in das der Geplagte seinen Kummer packt und unters Kopfkissen legt. Über Nacht werden die Voodoo-Geister die Sorge entführen und verschwinden lassen.
Marian entpuppt sich als Sprudelfrau. Das sind all diejenigen Frauen, die schäumen und überlaufen: vor Weltwachheit, Neugierde und hektischer Freude am Leben. Die andere Hälfte der Menschheit nennt sie complainers and stickers , die maulen und klebenbleiben, also nichts unternehmen, damit das Maulen aufhört.
Nebenbei arbeitet Marian – brasilianisch dunkel, vielleicht fünfzig Jahre alt – als Voodoo-Priesterin. Die Begriffe santería und voodoo verlocken, ein für Weiße wohl unbegreifliches Gemenge aus Schrecken, afrikanischem Götterglauben und Katholizismus. Ich habe an mehreren Sitzungen in Kuba und Nigeria teilgenommen und keine Stunde bereut. Ob die angerufenen Heiligen tatsächlich existieren, ich werde es nie wissen. Viel mehr als alles andere blendete mich die Ästhetik des Spektakels, die lauernde Sinnlichkeit. Ich war kein einziges Mal von dem Wunsch geplagt, die Daseinsberechtigung von Voodoo bewiesen zu bekommen. Nichts scheint mir absurder als religiöse Rechthaber und die Besitzer von Gottesbeweisen. Theologische Streitgespräche? Herr, hilf!
Am Ende einer Séance übergab mir Priester und Santero Jaime einmal – in einem Landhaus vor Havanna, weit weg vom Zentrum der Macht, da Santería offiziell verboten war – einen Satz, den ihm sein Lieblingsgott Changó für mich überlassen hatte: » Cuídate, la vida es bella y peligrosa. « – »Sei auf der Hut, das Leben ist schön und gefährlich.« Ich mochte die pathetische Nachricht, ich bildete mir ein, alle Beteiligten seien hellhörig für die Schönheiten der Sprache. – Als Marian mich einlädt, abends zu ihr zu kommen, um gemeinsam nach den Göttern zu rufen, verspreche ich dreimal, dabeizusein.
Als ich um zweiundzwanzig Uhr eintreffe, scheint alles vorbereitet. Wie in so vielen Voodoo-Tempeln sieht es bei Marian aus wie in einem internationalen Devotionalienladen, alles und alle da, scheinbar wirr durcheinander, dicht gedrängt: Bilder und Statuen christlicher Heiliger, ein Dutzend Mal die Jungfrau Maria, eine Hundertschaft afrikanischer Schamanen, Orishas, Sucher und
Weitere Kostenlose Bücher