Im Land der Freien
sind eindeutig männlichen Geschlechts. Doch aus dem Spiel wird genitaler Ernst. Statt zärtlicher Flüsterworte plötzlich der Schrei des Zukurzgekommenen: » You promised to fuck me. And now? It’s all bullshit .« Dann schmettert der Beleidigte die Zimmertür ins Schloss, keucht auf dem Gang auf und ab, kehrt zornbebend zurück zur Bettstatt und wiederholt den grausigen Satz. Ein Ritual entwickelt sich. Kurze Stille, dann der laut hinausgeschleuderte Vorwurf, die krachende Tür, die stampfenden Schritte und wieder die unüberhörbare Forderung nach unverzüglichem Sex. Endlich das rumorende Bett. Der versprochene Geschlechtsverkehr findet statt.
Der nächste Morgen beginnt mit Liebe. Als ich mein Hotel verlasse, warten ein paar Damen davor – Zeuginnen Jehovas – und verteilen Broschüren mit der Überschrift: » Will all people ever love each other? « Hoffentlich nicht, fürchterliche Vorstellung, dass alle lieb und friedlich sind.
Ich eile ins Vieux Carré, das französische Viertel. Französisch, weil der Franzose Jean-Baptiste Le Moyne hier 1718 am Mississippi-Delta den Grundstein zu einer Siedlung legte. Da Franzosen über ein Chromosom verfügen, das für die Anmut von Formen und die geheimen Linien der Schönheit zuständig ist, gehört der alte Stadtkern noch heute zu den architektonischen Weltwundern auf dem Kontinent.
Sieben Uhr morgens, morning glory , nur die Frühaufsteher unter den Pennern und die Straßenkehrer sind schon auf. Das warme Licht der ersten Sonne, ich streife die Fassaden entlang, stille das Bluten meiner Augen vom Glotzen auf 3000 Exxon-Tankstellen. Ich suche die Hausnummer 332 1/2 in der St Peter Street. Ich stehe davor, frage eine Lady, die gerade ihren Laden aufsperrt, ob sie wisse, ob das die ehemalige Adresse von Tennessee Williams sei. »Tennessee wer?« Ich bin beruhigt, als ich eine winzige Tafel finde, die bestätigt, dass hier einmal ein Riese der Weltliteratur gelebt hat. Oben im zweiten Stock – man sieht von unten durch das Fenster auf ein Glasdach – schrieb er »Endstation Sehnsucht« und hörte dabei die Straßenbahn über die nahe Royal Street kreischen. Die Tramway mit der romantischen Endstation ist verschwunden. Schon vor langer Zeit wurde sie von einem Bus abgelöst. Und das Wort Sehnsucht – » Desire « – bezeichnet heute die drittgrößte Sozialbausiedlung im Land, einen Stadtteil, vollgestellt mit grauslichen Wohnschachteln, Unterschlupf für Nutten, ärmste Teufel, Drogenhändler. Dort machen sie nach, was ihnen Bimbo Stallone und Bimbo Schwarzenegger vormachen: sprachlos umnieten. Löst das Drecksloch noch eine Sehnsucht aus, dann die, von dort abzuhauen. Als ich vor nicht allzu langer Zeit in der Gegend als Reporter arbeitete, mietete ich mir am zweiten Tag einen Bodyguard, um heil über die Runden zu kommen.
Aber es gibt eine viel sinnenfrohere Erinnerung an den Dichter. Sie gehört nach Key West, der Stadt am südlichsten Ende von Florida. Dort suchte ich vor Jahren das Haus, das Tennessee Williams nach seinem Wegzug aus New Orleans anmietete: In der Duncan Street kletterte ich über den hohen Bretterzaun, auf dem » Keep out « stand. Bis zu seinem Tod 1983 hatte der Schriftsteller hier gewohnt. Seitdem verrottete es, der kleine Swimmingpool war voller Blätter, durch die Scheiben des einfachen, erdgeschossigen Holzhauses war nichts zu sehen als ein leergeräumtes Bücherregal. Eine Alarmanlage gab es, wahrscheinlich vom Makler installiert. Ich kletterte zurück und eilte in den nächsten Buchladen, ich wollte »Orpheus steigt herab« nochmals lesen, eines der ersten Stücke, die er hier schrieb. Das Drama von Männern und Frauen, die nur auf die Welt kommen, um zu sterben, so leer, so adrenalinleer vergeht ihr Leben. Ich hatte Glück. Bald fand ich die Zeile, die am poetischsten den Inhalt resümierte: »Dieses Land ist einmal wild gewesen. Die Männer und Frauen waren wild und in ihren Herzen hatten sie füreinander eine Art von wilder Güte, aber nun ist es krank, krank von Neonlicht …«
Witziges New Orleans. An einem Straßeneck steht ein Dicker mit einem großen Schild vor dem Bauch: » Stop Hunger! «. Schon von weitem fange ich zu lachen an. Als ich mit ihm rede, merke ich, dass er sich keine Sekunde lang der Ironie der Situation bewusst ist: dass ein zum Platzen fetter Mensch kein Recht hat, sich ein Schild umzuhängen, um auf die Hungersnöte der Welt aufmerksam zu machen. Bis ich kapiere, dass ich falsch liege. Aber klar, Dicke
Weitere Kostenlose Bücher