Im Land der Freien
einen Lungenschuss zu verenden. Man könnte nun annehmen, dass ein Ochse die richtige Schlussfolgerung zöge: striktes Verkaufsverbot, Ausnahmen nur in dringendsten Fällen.
Nicht in einem Land, in dem der größte und mächtigste Club aller legalen Revolverhelden herrscht, die National Rifle Association . Und nicht, solange scharfsinnige Denker wie Charlton Heston als Präsidenten dieser von Rednecks, Ballermännern und sonstigen Intelligenzbestien durchsetzten Organisation fungieren. Sogar der kümmerliche Versuch des Gesetzgebers, eine verschließbare Abzugssperre zu verlangen, um das Über-den-Haufen-Schießen um Sekunden zu verzögern, wird rabiat bekämpft. Charlton Heston, einstmals göttlicher Schauspieler und seit längerem im Würgegriff einer gemeinen senilitas praecox , lässt die Welt wissen, »… dass dieser Gesetzentwurf ein Werk des Teufels ist, denn« – und jetzt holt Moses Heston mit allen zehn Geboten aus – »eines der fundamentalsten Menschenrechte ist das Recht auf Waffenbesitz«. So was Ähnliches muss George Bernard Shaw schon einmal gehört haben, als er notierte: »Alte Männer sind gefährlich, sie haben keine Zukunft.«
Drei Reihen hinter mir sitzt ein Asiate. Ein geradezu züchtiges Bild: still, klein, schmal, nicht essend, nicht trinkend, ohne Walkman, nur ein Bündel als Gepäck. So ein Anderssein verführt. Sambath, ein dreißigjähriger Kambodschaner, erlaubt mir, neben ihm Platz zu nehmen. Behutsam setze ich ihm zu, damit er von sich erzählt. Nach jedem zweiten Satz muss ich ihn wieder überreden. Sambath ist scheu. Und dafür gibt es Gründe.
Im Herbst 1975 flieht er mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder Thou vor den metzelnden Truppen Pol Pots nach Thailand. Kurz vor der Grenze trennen sie sich. Drei fliehen nach Süden, der Vater versucht aus Sicherheitsgründen, weiter im Norden die Grenze zu passieren. Die Mutter und die zwei Kinder schaffen es, der Vater schafft es nicht, er vegetiert vier Jahre lang in den Wäldern des Grenzgebiets. Als die Vietnamesen einmarschieren, kann er zurück in sein Dorf. Sambath, Thou und Mutter Khom überleben vierzehn Jahre im Camp Zong. Zuerst bekommen sie nur ein paar Plastikbahnen, nach Monaten wird Holz geliefert, sie bauen sich eine Hütte. Knapp 350 andere Flüchtlinge sind mit ihnen interniert. Ständiger Hunger nagt, manchmal schaffen sie es, heimlich zu verschwinden und zu fischen, oft werden sie von den Wachtposten ins Lager zurückgeprügelt. Nach zwei Jahren wird die Nahrung besser, das Rote Kreuz kann regelmäßig liefern. Die Schulen fangen an zu funktionieren.
Sommer 1989 dürfen sie in die Staaten auswandern, sie kommen nach Colorado, werden neunzig Tage lang mit Wohnung, Essen und Sprachunterricht versorgt. Sambath findet einen Job und arbeitet auf dem Flughafen in Denver, wo er die Sitze und Toiletten der Flugzeuge für 6,25 US $ die Stunde reinigt. Mutter und Bruder ziehen nach St. Petersburg, Florida, wo sie in einer Fischfabrik unterkommen. Hier liegt der Stundenlohn bei 5,50 US $. Jetzt sitzt Sambath neben mir, weil er versuchte, ebenfalls in St. Petersburg Arbeit zu finden. Ohne Erfolg, da er kein Auto besitzt. So fährt er wieder zurück nach Colorado, wo sich inzwischen viele Kambodschaner niedergelassen haben. Hier stehen die Chancen besser.
Er muss sparen. Alle drei sparen. Das Rote Kreuz hat inzwischen den Vater ausfindig gemacht, der sich noch immer in Kambodscha aufhält. Über tausend Dollar haben sie schon, über viertausend brauchen sie, um die Unkosten seiner Übersiedlung nach Amerika zu finanzieren. An eine Rückkehr nach Asien will Sambath nicht glauben, der letzte Staatsstreich Hun Sens hat sie alle nur bestärkt: dass in seinem Land für lange Zeit kein Frieden vorgesehen ist.
Mit der Geduld eines Bodhisattvas beantwortet er meine Fragen, Englischreden strengt ihn an, der Klang der Wörter scheint Lichtjahre von seinem Sprachempfinden entfernt zu sein. Sein Verhältnis zu den Amerikanern? » Soso .« Man kann nur ahnen, wie weit seine frühere Welt von der jetzigen entfernt ist. Aber er spüre keine Gehässigkeit, eher stummes Staunen und Fremdsein. Und er ist dankbar.
Hat er Killing Fields gesehen? Ja. Und? » Not bad, but much more .« Much more killing, much more . Sambath weiß auch, dass Haing S. Ngor, der die Schlachtfelder Kambodschas überlebte und seine eigene Lebensgeschichte in dem oscarprämierten Film nachspielte, vor nicht allzu langer Zeit in Los Angeles erschossen wurde.
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