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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Knirpse bieten sich an, mein Gepäck für ein paar Pesos zu tragen. Tagsüber schleppen sie übervolle Einkaufstüten von Amerika nach Mexiko. Zweihundert Meter im Land begrüßt mich die Policía National . Im hellen Mondlicht, unterstützt von einer starken Taschenlampe, soll ich meinen Rucksack ausleeren. Sie halten mich für einen Drogenkurier. Nur Trunksucht kann diesen Verdacht rechtfertigen. Denn derjenige, der Rauschgift von Nord nach Süd schmuggelt, muss noch verhaftet werden.
    Da ich längere Zeit in Mexiko gelebt habe, bin ich ein wenig mit den Spielregeln vertraut. Ich vermute, es lief so: Sie sahen mich kommen und dachten, das wäre der rechte Augenblick, um eine mordida , einen Biss, ein Bakschisch zu kassieren. Die Drogen waren nur Vorwand. Irgendwie hofften sie beim Auspacken meines Hab und Guts einen gerisseneren Vorwand zu finden, um mich zur Herausgabe von Pesoscheinen zu überreden. Leider nicht, ich reise als Minimalist, nichts erweist sich als unergiebiger als schmutzige Hemdkragen, gebrauchte Zahnbürsten und ein drei Jahre alter Macintosh. Wir packen wieder ein und verabschieden uns herzlich. No hard feelings . Nach nochmals zweihundert Metern finde ich die Pensión Fiesta , eine bescheidene Unterkunft mit nur drei Kakerlaken und – Weltneuheit – einem kostenlosen Wäscheservice. Der Hoteltipp kam von den Bullen. Mit einem Dankgebet schlafe ich ein.
    Zwei Nächte und einen Tag lang, so habe ich mir vorgenommen, will ich mich vom Reisen durch die erste Supermacht im Universum erholen. So viele Superlative strengen an. Hier ist es stiller, die lungernden Schuhputzer, die freiberuflichen Autowäscher und ambulanten Teppichverkäufer produzieren weniger Lärm. Der einzige, der lärmt, ist der Bischof. Beim Frühstück lese ich in der Zeitung von Juan Sanchez Iñiguez, der sich lautstark darüber echauffiert, dass der Gesundheitsminister Anzeigen im mexikanischen Fernsehen finanziert, um den Gebrauch von Kondomen zu propagieren: im Kampf gegen eine inflationäre Zahl von Teenie-Müttern. Sprich: Vierzehnjährige, die ihre erste Schwangerschaft antreten, ohne vorher das Wort Schwangerschaft gehört zu haben. Und im Kampf gegen Aids.
    Der Herr Bischof sieht das anders. Abgesehen davon, dass der Gebrauch von Präservativen zu schamloser Unzucht führe, verführe er zur Männerliebe – » el induce a la homosexualidad «. Die Bibel sagt: » ¡No fornicarás! « – du sollst nicht herumhuren. Als Alternative lädt der Gottesmann uns ins »Königreich der Keuschheit« ein.
    Um ein Haar wäre ich an diesem Dienstagvormittag königlich und züchtig geworden. Hätte nicht eine Fünfzeilennotiz unter der Überschrift » Pelea en la Zona de la Tolerancia «, Rauferei in der Toleranzzone, meine Aufmerksamkeit erregt. Ich erkundige mich beim Wirt und erfahre, dass es sich um den Rotlichtbezirk von Nuevo Laredo handelt, um ein großes Areal am Stadtrand, wo tolerante Damen notleidende Herren empfangen.
    Ich mag diese kleine Brüderlichkeit unter Männern, wenn einer den anderen nach einem Ort fragt, wo es Sex auszuhandeln gibt. Keine Moralpredigten, kein beschämtes Abwinken, kein scheinheiliges Nichtwissen, einfach lächeln und den kürzesten Weg weisen. Oder zur richtigen Bushaltestelle bringen. Und noch einmal hupen, Zeichen von Mitfreude und den besten Wünschen für ein gutes Gelingen.
    Ich bin nicht in Eile, ich wandere die letzten fünf Kilometer. Gehen ist eine der effizientesten Fortbewegungsarten, um sich auf ein sinnliches Milieu einzustellen. Im Stadtviertel Mirador ist das Ziel nicht mehr zu übersehen. Eine mannshohe Ziegelmauer umgibt das sündige Viereck, zweihundert Meter lang und zweihundert Meter breit, rechts am Eingang eine Wachstube für drei Ordnungshüter. Damit nichts ausufert, nicht die Raufereien, nicht die Wogen der Lust.
    An den Mauern entlang stehen die Flachbauten mit den Zimmern der Mädchen. Dazwischen die Bars, die Kaschemmen, die Nachtclubs mit so wilden Namen wie El Cielo de la Muerte, Le Rat Mort, Golden Palace, Corpus Christy (sic) und Climax Disco . Eine entspannte Atmosphäre herrscht. Die Strahlen der späten Nachmittagssonne reflektieren im Chrom verbeulter Jukeboxen. Enrique Iglesias – für trällernden Kitsch ebenso begabt wie sein Vater Julio – schluchzt » Tu eres indesclasable «.
    Eine eigene Schneiderei stichelt für die Berufstätigen vor Ort die maßgeschneiderte Garderobe zum Ausziehen. Hinter jeder Tür steht ein kleiner Altar mit brennenden Kerzen,

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