Im Land der Freien
der Jungfrau im Himmel gewidmet. Andere Jungfrauen sind augenblicklich nicht in Sicht. Ein Korb voller Münzen steht davor. Die eine soll vor den Missgünsten des Lebens schützen, die anderen, die Pesos, gelten als Katalysator. Geld zieht Geld an. In den achtzig Fernsehern läuft gerade die vierte Telenovela des Tages, eine jener Serien, die dem mexikanischen Volk vom zweihundertteiligen Schicksal steil toupierter Ehefrauen berichten, die sich heimlich und entschlossen mit prachtvoll gebauten Jünglingen treffen: Zuspruch und Sinnestaumel suchend, was die reich und unansehnlich gewordenen Gatten schon längere Zeit nicht mehr liefern. Momentan ist » Rosa salvaje «, die heißblütige Rosa, unterwegs.
Laue, friedliche Stimmung. Streunende Katzen und Hunde, ein warmer Wind treibt kleine Staubwirbel vorbei, der leicht violette Himmel passt nun zum sanften Rot der Lampen über den Fenstern. Ein Sonnenuntergang in einem Freilichtpuff stimmt milde und versöhnlich. Eine lange Arbeitsnacht beginnt.
Blick auf Männer, die sich in Hinterzimmern treffen. Andere, die genauso schweigsam an der Bar sitzen. Selten fällt ein Wort. Das hat Poesie, einsame Männer und Väter, die vor dem Sex drei Stunden lang Billard spielen und nichts sagen. Weil es nichts mehr zu sagen gibt. Sie wissen längst alles von sich. Und ein anderes Leben wird nicht mehr kommen. Auch das wissen sie. Die mürbe Langeweile und die Sehnsucht nach anderen Frauen. Die beiden Einsichten werden sie bis an ihr Ende begleiten.
Isidor setzt sich neben mich. Offiziell ist er arbeitslos, inoffiziell betätigt er sich als Zuhälter. Das ist eine Härtevokabel, die nur annähernd den Tatsachen entspricht. Sagen wir, er hat eine Interessengemeinschaft mit Nancy aufgebaut und versucht einem potenziellen Kunden nun wortreich und farbenfroh die Schönheiten Nancys einzureden. » No te preocupes, solo ver «, mach dir keine Gedanken, sieh sie dir einfach an. Also biegen wir ums Eck und schlendern auf Zimmer 21 zu. Hier schafft seine amiga . Die soll ich jetzt, unverbindlich, anschauen.
Nancy schaut man gern an. Zudem arbeitet sie auf einem blitzblank sauberen Bett. Alles da, das weiche Rosa der Stehlampe, der rosa Hirtenteppich, die Blumen und die himmlische Jungfrau, sogar der Rosenkranz lugt unter dem Kopfkissen hervor. Nancy legt Wert auf den Ruf einer anständigen Hure, noch mit dem Besen in der Hand begrüßt sie mich. Da ich auch als Nicht-Yankee Gringo bin, verdächtigt sie mich sofort, im Besitz mehrerer Dollarmillionen zu sein. Was eine zwölfhundertprozentige Inflation binnen zehn Minuten zur Folge hat. Denn zwölfmal mehr Pesos als alle Nicht-Gringos müsste ich hinterlegen, damit sie simplemente todo , einfach alles, mit mir machen würde. Als ich auf die drei Perücken deute, die an der Wand hängen, muss sie lachen. Bei mir müsse sie keine Angst haben. Die würde sie nur aufsetzen, wenn Leute aus dem fernen Guadalajara kämen, ihrer Heimat: als Tarnkappe.
Ich bitte Nancy um Bedenkzeit. Sex für Geld deprimiert mich. Bisweilen zumindest. Nicht aus moralischen Gründen, der Herr ist mein Zeuge. Aus Eitelkeit. Nur mit Hilfe von Geldscheinen einer Frau nähertreten zu dürfen, das hat was mit klangloser Resignation zu tun. Aber ich mag die Nähe von Huren, ich mag ihre Chuzpe, ihre Ironie, ihr Wissen von der Welt. »Lebedamen«, treffliches Wort. Wie oft haben sie mehr Leben im Leib als andere Damen.
So ziehen wir beide für eine halbe Stunde in die J. R. Bar um. Nancy ist bereit, von ihren Johnnys zu erzählen, von den dicken und dünnen, die sich an sie ranmachen. Von den Hastigen und den Scheuen, von den Geizkrägen und den Weinerlichen, den strapaziösesten von allen. Denn die können es nicht hinter sich bringen, ohne vorher einen Sack Probleme auszupacken. »Schon eigenartig«, meint Nancy, »aber jemandem beim Heulen zuschauen strengt mich mehr an, als die Beine breit zu machen. Denn da kann ich ungestört an was anderes denken. Nicht beim Zuhören, da muss ich mich konzentrieren.« Isidor kommt, höflich meldet er einen Stammkunden an. Ordnungsgemäß begleite ich Nancy zurück zu Nummer 21.
Jetzt ist Nacht, die Mädels sitzen, strickend oder miteinander plaudernd, vor ihren Betten, die Türen weit offen, Männer flanieren vorbei, auch diensthabende Ordnungshüter grüßen, wie jeden Abend stehen die liederlichen Umtriebe unter Polizeischutz. Die Transsexuellen und Transvestiten ziehen auf, auch sie haben ihr Lokal und ihr Publikum. In Marthas
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