Im Land der Freien
und mir auf die Frage, woher er sein glücklich ruhiges Gesicht habe, mit einem Satz von Nietzsche antwortet: »Ich würde nur einen Gott anbeten, der tanzen kann.« Fathi ist Sufi, Anhänger jenes mystischen Ordens des Islam, der seine Sucht nach Gott durch Tanz ausdrückt: wo Männer sich stundenlang im Kreis drehen und irgendwann außer Rand und Band geraten und so auf absolut sinnliche Weise versuchen, dem Rätsel näherzukommen.
Hier riecht die Luft besser. Hier in dieser Stadt ist selbst der Anteil rastloser winners geringer. Santa Fe gilt als Fluchtort für Maler (mehr Licht), Schreiber (mehr Stille) und andere Verdächtige. Der rabiate Vormarsch des real existierenden Kapitalismus scheint hier um Momente verzögert. Die drängende Lust, alles Bildschöne zu demolieren, kommt noch nicht recht zum Zug. Damit es so bleibt, wenigstens noch ein paar weitere Momente, kaufe ich bei John, dem Indianer und Nachfahren der ehemaligen Besitzer New Mexicos, ein medicine wheel . Der Silberschmied verspricht, dass das Amulett gegen alle Krankheiten des Planeten beschützen wird. Auch gegen Herzfehler wie Gier, Größenwahn und die Lieblingsidee aller unheilbar gesunden Fortschrittsnarren: dass die Freiheit des Machbaren unantastbar sei.
Nun, auch in Santa Fe darf einer lachen, muss einer träumen. Ich komme am Desert Inn vorbei, einem ansehnlichen Motel, wenige Schritte vom Zentrum entfernt. Da ich nicht weiß, was die Aufschrift » Football Packages « am Eingang bedeutet, gehe ich hinein und frage. Freundlich werde ich darüber informiert, dass sich die Rezeption auf Wunsch um Flug, Hotel und Eintrittskarten für auswärtige Footballspiele kümmert. Noch während die freundliche Ashley redet, verfalle ich in einen Tagtraum, ich sehe mich wieder an dem Motel vorbeikommen, diesmal jedoch » Book Packages « lesend. Und wieder frage ich und höre diesmal, dass sich das Haus um Flug, Hotel und Eintrittskarten für auswärtige Lesungen kümmert. Bis ich am Ende dieser Halluzination immer noch vor Ashley stehe – sie hält mir jetzt ein Ticket Broncos vs. Green Bay Packers entgegen – und mich halblaut sagen höre: »Ich spinne.«
Um zur Wirklichkeit zurückzukehren, gehe ich hundert Meter weiter zur ältesten Kirche in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich mag Kirchen, sie sind die letzten Reservate der Stille, noch immer frei von Werbesprüchen, noch immer der beseligende Weihrauchduft. Die San Miguel Mission wurde Anfang des 17. Jahrhunderts von amerikanischen Ureinwohnern unter der Knute der Franziskaner errichtet. Von einer Glasplatte beschützt, sieht man noch die vor knapp vierhundert Jahren errichteten Altarstufen aus Adobe, getrockneten Lehmziegeln.
Da ein kalter Regen niedergeht, flüchte ich in die ein paar Schritte entfernte San-Francisco-Kirche. Kein Weltwunder, aber angenehm möbliert. Ein Beichtstuhl fällt auf, der schallisoliert ist. Father Manuel steht darüber. Beneidenswerter Pater, er ist sicher fürs Abhören der Todsünden zuständig. Heiliger Hokuspokus. Wie er mich an meine Kinderjahre erinnert, als ich an jedem Samstagnachmittag in einem dieser finsteren Kabuffs niederkniete und meinen Beichtspiegel herunterleierte. Und hinterher einen wildfremden Mann sagen hörte, dass er mir meine Sünden vergibt. Wie witzig, wie hochmütig, wie heilend, diese Illusion: Einer vergibt etwas, was ein anderer anderen zugefügt hat.
Nicht weit von Vater Manuels Lauschplätzchen entfernt finde ich die folgende Inschrift: »Wo Hass ist, lass mich Liebe säen. / Wo Kränkung, Verzeihen. / Wo Zweifel, Hoffnung. / Wo Finsternis, Licht. / Wo Trauer, Freude. – Mach, dass ich nicht so sehr danach strebe, getröstet zu werden als zu trösten.«
Wie poetisch. Und wie scheinheilig. Kaum hatten die christlich-europäischen Weltenbummler ihre Sprüche eingraviert, gingen sie wieder »Eingeborene« schlachten. Dazu eine Anekdote vom ältesten Haus der USA , das sich ebenfalls in Santa Fe befindet. Sie zeigt, wie weit es her war mit der Kunst, Liebe zu säen: In dem schlichten Bau aus Lehmziegeln – datiert auf das Jahr 1200 – liegen die sterblichen Überreste eines Hidalgo begraben. Der Spanier war leichtsinnig genug, sich vor Ort einen bebedizo , einen Liebestrank, zu besorgen. Mit der amüsanten Folge, alles und jeden in seiner nächsten Umgebung abzuküssen. Für diesen zuchtlos kriminellen Akt haben ihn seine katholischen Landsleute mit einer Enthauptung getröstet. Moral: Liebe reden und Liebe tun sind beizeiten
Weitere Kostenlose Bücher