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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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vertauscht sehen, einmal eine Million Jahre Kulturgeschichte von Männern und Frauen auf den Kopf gestellt erleben und den außergewöhnlichen Moment genießen, in dem eine Frau sagt: » I read that too this morning, how touching .« Was – wenn ich es richtig übersetze – in etwa bedeuten soll: »Sie gefallen mir, ich möchte Sie kennenlernen.«
    Und wir lernen uns kennen. Laura gehört zu denjenigen Menschenkindern, die laut Hermann Hesse das Salz der Erde ausmachen: die Spieler, die Spinner, die Rentenverweigerer, die Leichtsinnigen, die Sinnsüchtigen und Windstoßvergnügten. Irgendein magisches Gen hält sie im Gleichgewicht, eine offensichtlich unerschöpfliche Daseinsfreude nährt sie. Noch eine, die sprudelt. Oder, wie sie hier sagen, noch ein natural born thriller .
    Laura zählt zu den Hunderten von Verückten an diesem Ort, die im Santa Fe Reporter inserieren. Keine spirituelle Extravaganz, die sie hier nicht anbieten: Bikram-Yoga, Schwertertanz, Hawaii-Massage, Erotikschreibkurse, Computer-Guru, Gefühlsheilen, Tarotkurse, › Pizzeria Espiritu ‹ oder Deep Tissue Body Work . Laura liest in den Sternen und bringt der Welt afrikanisches Trommeln bei.
    Wir haben nur einen Nachmittag und wollen ihn nutzen. Ihr VW -Kombi funktioniert, in einem auf biologische Kost spezialisierten Supermarkt – selbst Proteine heißen hier spiriteine – kaufen wir eine Tüte lupenreiner Nahrungsmittel und fahren hinaus in das außerirdisch schöne New Mexico: die Wüste, der Wüstenhimmel, die Felsbrocken, die kerzengeraden Highways, die bizarren kugelrunden oder hunderteckigen Wohngebilde, in denen ein paar von denen überleben, die drei Milchstraßen weit weg sein wollen von den Träumen der Popcornfresser.
    Unser erster Versuch, für ein paar Stunden ein friedliches Plätzchen zu finden, um unser Picknick aufzuessen, scheitert. Hinter der ersten Biegung eines heißtrockenen Flussbetts steht ein dickbackiger Mensch mit einer dicken Flinte in der Hand und lässt uns mit einfachen, klaren Worten wissen, dass er es schätzen würde, wenn wir uns umstandslos von seinem Land trollten. Da der andere eindeutig die besseren Argumente hat, kehren wir um und suchen in der entgegengesetzten Richtung. Der kleine Canyon ist schlangenförmig, in der sechsten Bucht bleiben wir, nun weit genug von jeder Schrotladung entfernt und nunmehr imstande, so bedrohliche Tätigkeiten auszuüben, wie ein mit Petersilie belegtes Brot zu verzehren und halblaut miteinander zu reden.
    Es gibt Zeitgenossen, die erzählen ihr Leben auf eine Weise, dass der Zuhörer wie gestaucht, wie vollgepackt mit einem Sack Tragödien, von dannen geht. Laura nicht, sie bleibt fair, ihren Ex-Männern und ihren beiden Ex-Ehemännern gegenüber. Sie nimmt nicht Rache, ihr gehört die unbezahlbare Kunst, ihre Erfahrungen, auch die schmerzhaften, als Bedingung für das Glück zu begreifen. Auch die vier Jahre, in denen sie sich nicht weiter als drei Meter von ihrem Bett entfernen durfte, so heimtückisch überfielen sie die Attacken einer seltenen Virusinfektion. Ihre Heiterkeit wollte nicht vergehen. Nicht ein Schatten von Bitternis blieb. Sie erklärt niemanden zum Sündenbock. Das, was man gemeinhin Seele nennt, scheint in ihr nicht zu verwittern.
    Wie so viele Männer habe ich Angst vor Frauen, weniger Angst allerdings vor den starken. Sie blicken nicht auf, erwarten demnach keine Anweisungen zum richtigen Leben. Sie verbreiten umgehend das beruhigende Gefühl, dass sie auch ohne mich zurechtkommen. Sehe ich Laura im Gegenlicht der Wüstensonne vor mir sitzen, frage ich mich, was mir an ihr besser gefällt: der kluge, so gut geschnittene Kopf der Siebenunddreißigjährigen oder eben diese Kraft, dieser Trotz den Gefährdungen ihres Lebens gegenüber.
    Diese Aufsässigkeit hätte sie – so behauptet sie unverdrossen – ihrem Urururgroßvater zu verdanken, dem dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten, Thomas Jefferson. Einen seiner Sätze trage sie immer mit sich herum: »Verleugne niemals deine Überzeugungen um des billigen Friedens willen.«
    Wer einen solchen Satz ununterbrochen aushält, der sollte sich wappnen gegen die Stunden der Einsamkeit. Nicht hergeben seine Lieben und Vorlieben für einen faden Seelenfrieden. Wer das durchhält, der muss anders sein.
    Als die gelbe Wüste rot zu leuchten beginnt, brechen wir auf, zurück nach Santa Fe. Sie bewohnt die Hälfte einer blitzblanken Blockhütte aus Ziegeln und Adobe, dazu ein paar Quadratmeter Garten.

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