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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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ist erst für Jugendliche ab dreizehn Jahren zugänglich, da Gewaltszenen, vulgäre Sprache und kurze Nacktszenen vorkommen. Das » PG « steht für » parental guidance «, die 13-Jährigen müssen also in Begleitung eines Erwachsenen das Kino betreten.
    Abgesehen davon, dass das Wort » brief nudity « mich als potenziellen Zuschauer dazu auffordert, bloß nicht den kurzen Augenblick zu versäumen (vielversprechender wäre natürlich der woanders gelesene Hinweis auf » total frontal nudity «), frage ich mich, ob Gewalt weniger gewalttätig ist, weil der Großvater sie auch sieht. Nacktheit weniger nackt, wenn die Tante danebensitzt. Und profane Sprüche weniger profan, da Vati sie auch mit anhören darf. Moral? Aber ja doch: Profit. Das PG ist ein Feigenblatt für die heuchlerische Industrie. Stehen die zwei Buchstaben nicht da, geht der Milliardenmarkt der Dreizehnjährigen flöten. Der Film wäre dann erst für die drei Jahre älteren zugelassen. Gerissener noch: Die Verwandtschaft muss gleich mitkommen, wieder klingelt es an der Kasse.
    Heute geht es mir durchgehend gut, ich lese weiter, meine Lieblingswerte, die family values , kommen noch einmal vor, diesmal als Schlagzeile: » One Million Women March «, eine Million schwarzer Frauen haben sich in Philadelphia zu einer Kundgebung für Familie, soziale Verantwortung und Gottesfurcht zusammengefunden. Als Hauptrednerin wurde Winnie Madikizela-Mandela eingeflogen. Die einstmals heldische »Mutter der Nation« passt hierher. Inzwischen hat sie sich einen Namen als gewiefte Goldschmugglerin, nicht unbegabte Sadistin und fidele Liebhaberin eines bunten Zirkels strammer Liebhaber gemacht. Unübersehbar: Familienwerte sind besondere Werte.
    Abends Ankunft in Denver. Der Ort für zartere Gemüter, um sich freiwillig und umgehend zu strangulieren. Die herausgerissenen Türen in den Toiletten des Terminals, der Blick in drogendumpfe Gesichter auf Kloschüsseln, die Türen – von den Junkies verkauft. Der Blick auf das raufende Gesindel in der riesigen Wartehalle und daneben die von knatternden Videospielen Verblödeten, die eine Leuchtschrift – sollten sie lesen können – nach dem elektronischen Totschlag darüber informiert, dass Sieger keine Drogen nehmen. Was lernt die Jugend da Erbauliches? Dass Sieger töten, aber keine Drogen nehmen. Heil dem drogenfreien Killer.
    Hinter dem Eingang liegt die Innenstadt von Denver, nicht unähnlich dem türlosen Abort der städtischen Busstation. Bis jetzt habe ich noch keinen künstlich geschaffenen Ort betreten, an dem Einsamkeit einsamer macht als in amerikanischen Innenstädten. Unklar jedoch, was heftiger bedrückt: die Fassungslosigkeit über die Brutalität, mit der hier »Lebensraum« geschaffen wurde. Oder die nackte Angst um die eigenen Habseligkeiten. Fassungslosigkeit und nackte Angst betreffen hier jeden, den Besucher und jene, die hier hausen müssen.
    Über einem vergitterten Fenster hängt ein Schild: » Course in Miracles. Please call «. Feine Ironie. Ein Wunder muss her, nichts anderes wird dieses schmierige Drecksloch zu einer menschenwürdigen Umgebung machen. Ein paar Meter daneben hat einer » Pitbull Age « an eine Mauer gesprayt. Auch nicht schlecht, das Zeitalter von Lassie ist vorbei, nun kommen die Bullterrier. Vorbei an mit Müllhaufen und Gummireifen verstellten Gassen, zugenagelten Läden, getrockneter Kotze in verschiedenen Ecken. Ein kalter Wind fegt, leere, finstere Welt. Ich begegne fünf Fußgängern und einem Hund.
    Ein McDonald’s hat offen, davor stehen nochmals zwei Figuren, sie betteln um Mitleid in dieser unerbittlichen Landschaft. Drinnen spuckt die Kundschaft auf den Boden und ein junger Kerl nähert sich mir mit der poetischen Frage: » Are you on cloud 57? « Wer auf Wolke 57 ist, ist randvoll mit Dope und schwebt ganz oben. Ich bin es leider nicht. Sean, der Zweiundzwanzigjährige, aber sicher. Heiter lächelnd bewegt er sich über den Abgrund seines Lebens.
    Ben, Geschäftsführer der Frittenbude und hoffnungslos unterlegener Mahner gegen die Fußbodenspucker, weiß eine preisgünstige Unterkunft. Nur zehn Minuten wäre sie entfernt. Aufreibende sechshundert Sekunden: Hinter dem zweiten Block kommt mir ein als Sensenmann verkleideter Hüne entgegen, schwarze Kutte, schwarze Kapuze, das Gesicht hinter einer Totenmaske verborgen, in der Linken eine solide Sense tragend. Nur die gerade noch rechtzeitig eintreffende Erinnerung, dass es sich höchstwahrscheinlich um einen

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