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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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auch sie der Alkohol ausgelöscht hätte. Unvergessen ihr morgendlicher Gang in die Küche: » In the morning they opened up the fridge and got a cold one, before they took a piss .«
    Bruce, der Zwölfjährige, muss in ein Heim. Hier bekommt er den letzten Schliff. Läuse und Tuberkulose überfallen seinen Körper, bei einer Messerstecherei bleibt eine Klinge in seinem rechten Schulterblatt stecken. Er ist zäh, sein Leib erträgt alles, auch die ein oder zwei Dutzend Male, die sie, die Stärkeren, ihn gegen die Fliesen einer Dusche drängen, um seinen Kinderhintern umstandslos zu penetrieren. Mit siebzehn wird er entlassen, sein Beruf stand schon seit langer Zeit fest: » I became a drifter «, er driftet nach Süden, seine Karriere als Vollzeit-Krimineller beginnt.
    Nichts wird ihn die restlichen dreißig Jahre behüten, nicht eine Liebe gelingt ihm: »Alle Frauen haben mich betrogen«, so muss er reden, um seine Niederlagen auszuhalten. Jetzt scheint sein Körper zu mürbe, zu verwundet, als dass er noch Zeit hätte, sich von den Abstürzen zu erholen. Auch seine kriminelle Energie – lange für jeden Frevel zu haben – erlosch. Im Gebüsch des Golden Gate Park wird er aller Voraussicht nach verenden: am Unglück, an kalten Zellenwänden, Drei-Dollar-Fusel, Lungenlöchern, fauler Leber und pausenloser Einsamkeit. Er weiß es genau, er sagt zum Abschied: » And here I end up being nothing. I never intended to be just nothing. I just didn’t make it .«
    Schon einzigartig, dieses Leben, das sie hier vorführen. Ein Dasein, bei dem sie jeden Tag mit dem Gedanken aufwachen, keinen Cent zu besitzen. Jeden Morgen gegen die Welt antreten zu müssen, das hat auch Stärke, etwas rabiat Schönes.
    Ich gehe den weiten Weg zurück ins Zentrum der Stadt. Ich erfahre, dass auch Gutes über den Bürgermeister zu berichten ist. In der Zeitung steht, dass er den nächsten Samstag zum » sweeping saturday « erklärt hat. Jeder Einwohner soll sich an diesem Tag mit einem Besen bewaffnen und den Müll aus San Francisco wegkehren. Exzellenter Vorschlag, zuträglich zuerst den vielen blendend aussehenden Frauen, die sich in dieser Stadt herumtreiben. Schönheit verdient eine Umgehung, in der sie blühen kann. Nur ein Beispiel: Ich sehe eine Frau – noch leuchtender vom hellen Himmel über ihr – die blitzblanke O’Farrell Street überqueren und bilde mir ein, sie wäre nochmals um ein Lichtjahr schöner, da sie augenblicklich eine gepflegte Straße in San Francisco unter einem blauen San-Francisco-Himmel überquert.
    Ich komme zur Greyhound-Station, will einen Platz buchen. Aber es gibt keinen Bus zu dem Ort, an den ich morgen früh möchte, nein, muss. Die fürchterliche Aussicht auf einen Leihwagen holt mich ein. Als ich das Gebäude verlasse, steht vor dem Ausgang »Reno« eine lange Menschenschlange. Eine eigene Buslinie wurde für diese hochkapitalistische Wüstenei eingerichtet, direkt an der Grenze zwischen Nevada und Kalifornien, sechs lange Autostunden von hier entfernt. Das alles, um vor einarmigen Banditen stehen und Knöpfe drücken zu dürfen. Eine Frau wartet im Rollstuhl auf die Abfahrt, ein Mann braucht ein dreifüßiges Aluminiumgestell für Schwerbehinderte, um nicht umzufallen. Noch auf Krücken nähern sie sich dem Dollar. Nichts, nur noch der nackte physische Tod kann ihre Jagd nach money bremsen.
    Geld lässt mich träumen. Von stillen Büchern und geräuschlosen Gedanken. Ich erkundige mich und ein Mensch erzählt mir von einem Buchgeschäft. Ich spurte, es ist genau die richtige Adresse. Nirgendwo an der Pazifikküste liegen mehr Bücher auf einem Haufen als hier. Aber das Sensationellste wartet im ersten Stock: ein geschmackvoller coffee shop , wo man sich an einen robusten Tisch setzen kann und seine Drucksachen anschauen, durchblättern und lesen darf. Und Zeit hat zum Blickheben und Auskosten des Geschriebenen. Zum Losprusten vor Freude: so ertappt fühlt man sich von den Überlegungen des Autors, so präzis und jäh sieht man die eigenen noch nicht ins Bewusstsein gehobenen Gedanken vor sich aufgeschrieben. Hinzu kommt das vorbeiziehende Aroma des Kaffees. Wer schmökern, in Buchstaben versinken kann, kennt diesen nirwananächsten Zustand von wohliger Einsamkeit, an der das Gelärme der Welt weit entfernt vorbeizieht. Stanislaw Jerzy Lec wusste es so genau: »Sobald ich Papier sehe, fange ich Feuer.«
    Als ich Nathan McCalls wütend geschriebene Autobiographie (» Makes Me Wanna Holler «) lese,

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