Im Land der Freien
als ich ihn darauf anspreche. Trotzdem, von seinen revolutionären Träumen will er – selbst ein veritabler Dichter – nicht lassen. Unbekümmert vom Zeitgeist, publiziert er Bücher, die zäh und impertinent diese Träume wachhalten.
Fünfzig Meter gegenüber von City Lights brennen andere Lichter, Columbus Avenue/Broadway gilt als Schmuddelecke. Kein raffinierter Rotlichtbezirk, aber sündig – das schon. Abgenudelte Sexobjekte – männlich, weiblich – stellen sich zum one dollar peep zur Verfügung. Um den potenziellen Kunden zum anschließenden GV für mehr als einen Dollar anzuspornen. » Naked – Naughty – Nasty «, so steht es draußen in blinkenden Großbuchstaben. Und so sind sie tatsächlich: nackt, dreist, eklig. Ich bin bedient. Nichts ist deprimierender als ein Dutzend pikierter Huren. Als ich frage, wo ich das Schmerzensgeld abholen könne, sollte ich mich zu einer geschlechtlichen Tätigkeit mit dem anwesenden Personal entschließen, werde ich streng hinausgebeten. Wie recht sie haben. Kalter Sex, dafür bin ich zu alt.
Verdrossen lande ich im Bett, Frustbeulen wuchern in meinem alleingelassenen Körper. Es dauert, bis er ermüdet. Um irgendwann wieder aufzuschrecken: In den letzten Momenten des Wachseins fällt mir ein, dass in ein paar Stunden mein letzter Reisetag beginnt. Was mir nochmals zwei Stunden Ruhe stiehlt. Denn morgen werde ich einen treffen, der mir einst das Leben rettete. Das ist kein dramatischer Satz, sondern eine bescheidene Bemerkung. Ich habe den Menschen nie persönlich gesehen. Aber ich wüsste von keinem, der mehr dazu beigetragen hat, dass ich nicht abgestürzt bin. Wir alle suchen einen Sokrates. Er war der meine. Ein Amerikaner mit einer deutschen Großmutter, too funny .
BIG SUR
Um sieben Uhr früh sitze ich in einem Leihwagen. Er ist so hässlich neu und eckig, dass ich mich weigere, mir Modell und Hersteller zu merken. Aber kein öffentliches Fahrzeug bringt mich auf dem Highway One an mein Ziel, 155 Meilen von San Francisco entfernt. Jene Gegend an der kalifornischen Küste, die noch immer den englisch-spanischen Namen trägt: » Big Sur «, weiter Süden.
Nach dem siebzehnten Bremsen und Losfahren an einer Ampel weiß ich wieder, dass das Lenken eines Automobils zu den schwachsinnigsten Tätigkeiten des 20. Jahrhunderts gehört. Jenseits der Stadtgrenzen wird es weniger schwachsinnig. Ich bekomme intelligente Gesellschaft. Ein junger Kerl steht am Straßenrand und streckt den Daumen raus. Nachdem er mir versprochen hat, weder spitz geschliffene Gegenstände noch Feuerwaffen gegen mich einzusetzen, steigt Caelus, der Zwanzigjährige, zu. Mit Rucksack und schweren anarchistischen Gedanken. Nicht zu überhören: Caelus steht auf Kriegsfuß mit seinem Vaterland. Er trampt seit Jahren, verrichtet einfache Arbeiten, will sich nicht einkochen lassen von der »lauwarmen Pisse« einer bürgerlichen Existenz.
Der Blechkäfig hat ein Gutes, in der halben Meter dicken Knautschzone des Armaturenbretts befindet sich ein Radio. Ich finde Making Contact , ein Programm des National Radio Project , das scharfsichtig feinsten Journalismus anbietet. Thema heute: » Banking on the Drug Trade «.
Das Vertrauen in den Drogenhandel geht so: Raucht jemand Crack und trinkt gleichzeitig Bier, so produziert der Körper die Substanz Kokaäthylen, was das High intensiviert, die Euphorie steigert. Die Crackheads wissen das längst. Neu dagegen ist der Tatbestand, dass sich diese Erkenntnis inzwischen bei führenden Brauereibesitzern herumgesprochen hat, und die Bier-Bosse beschlossen, den Junkies auszuhelfen: Biersorten kamen auf den Markt, die diesen chemischen Prozess – die Entstehung von Kokaäthylen – noch verstärken, genauer, zwei Prozesse verstärken: die raschere physische Vernichtung der Kunden und das erfreulich rasche Ansteigen der Profite.
Damit das so blieb, arbeiteten die zuständigen Werbeabteilungen auf Hochtouren. Mit Rap, Gangsta Rap und direkten Anspielungen auf Ausdrücke aus der Crack-Terminologie wurde die anvisierte Klientel über die neuen Produkte informiert. Das funktionierte. Mit halber Lichtgeschwindigkeit kam die Message an.
Die Bilanz kann sich sehen lassen: Die Brauereien boomen, die Opfer kaufen, verblöden oder krepieren, die Banken sprechen von einem Rekordjahr. Dass sich auch eine Firma wie Nike skrupelfern der Musik der Jungen in den Ghettos bedient, um sie zum Kauf ihrer 200-Dollar-Gummischuhe zu überreden, auch das kommt in der Sendung zur
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