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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Sprache: perfide kalkulierend, dass ein gehöriger Prozentsatz der Gummischuhfans über keine fünf rechtmäßig verdienten Dollar, wohl aber über ein paar Tausend Dollar drug money verfügt. » There is no business like the neoliberalism business «.
    Aber den besseren Satz liefert Caelus, als er in Monterey aussteigt und mir als Unkostenbeitrag ein Bonmot von Martin Luther King aufschreibt: »Natürlich gibt es in unserem Land Sozialismus. Für die Reichen. Und Kapitalismus für die Armen.«
    Hinter der Stadt führt die Straße in den Himmel. Himmel als Metapher für Ohnmachtsanfälle beim Anblick von so viel irdischem Schönsein: auf der Küstenstraße Big Sur entlang, unten der Pazifik und das heisere Bellen der Seehunde, oben die blau beleuchteten Felsenhügel der Santa Lucia Range. In einer schwungvollen Kurve, versteckt hinter dicken Bäumen, liegt die Adresse, nach der ich suche. Auf einem schlichten Schild steht: » The Henry Miller Memorial Library «.
    Vor knapp fünfzehn Jahren war ich schon einmal hier. Per Anhalter und zu Fuß, mehr aus Neugier denn aus drängendem Bedürfnis. Emil White – über ihn hatte Miller geschrieben: » He was a friend long ago before I met him and he will be one long after my death « – leitete damals noch das Museum. Will man mit dem Schriftsteller nichts gemein haben, seine Fähigkeit, Freunde zu gewinnen und sie nicht zu verlieren, die will man ihm neiden.
    Miller täuschte sich nicht. Bald nach seinem Tod im Juni 1980 ließ White – nur zehn Jahre jünger – das nach japanischen Richtlinien errichtete Holzhaus erbauen und stopfte es voll mit Aquarellen und Büchern seines Freundes. Jeder, der Miller verehrte, war willkommen.
    White war clever, er dechiffrierte behände die Vorlieben eines jeden Besuchers. Für mich zog er hinterm Sofa eine Hutschachtel voller Fotos hervor. Die Fotos waren als Kunst belanglos, einfache Schwarzweißbilder, geknipst mit dem Blick des Liebhabers, nicht des Profis. Was erregte, waren die Objekte des Liebhabers: Bronzefarbene Göttinnen breitete White vor mir aus, Millers Geliebte, seine Geliebten, beider gemeinsame Geliebte, splitterfasernackt hingestreckt zwischen den Felsklippen von Big Sur. » Look at the big tits «, raunte White. Nach dem Satz mussten wir laut lachen. Als ob er einen Mann im Universum auf die großen, wahrlich runden, festen Brüste hinweisen müsste. Zuletzt folgte eine ganze Serie über » the woman with the ass «. Das Bild mit Whites Kopf daneben gilt heute als Liebhaberstück. Und Emil, der bereits Fünfundachtzigjährige und von der Parkinsonschen Krankheit Geschüttelte, deutete mit dem Finger auf die apfelrunden Backen: »Schau, so muss er aussehen, der Eingang ins Paradies.«
    Berührender noch als die Hintern und Oberleiber der Schönen waren ihre Köpfe. Zusammen mit den Köpfen ihrer Freunde, die bisweilen ebenfalls auf den Fotos erschienen. So eine lodernde Lust am Leben strahlten sie aus, sowas verrückt Besessenes, so ein inbrünstiges Verlangen, keinen Augenblick zu versäumen. »Stell dir vor, noch mit sechsundsiebzig hat Henry eingefädelt«, kommentierte Emil meine Hintergedanken. Sie hatten sich versprochen, sich gegenseitig über »das letzte Mal« auf dem Laufenden zu halten.
    Die zwei Männer stimmten zusammen. White wächst Anfang des Jahrhunderts in Wien auf, steht als Sechzehnjähriger und gescheiterter Revolutionär vor einem Erschießungskommando in Budapest, kann sich mit ein paar Schilling freikaufen, flieht Austrofaschismus und Militärdienst, kommt nach Amerika, nimmt jeden Job, auch in Alaska, wird zwanzig Jahre später Millers lebenslanger Freund. » Friendship is something beyond love «, hatte der Berühmtere einmal geschrieben. Die Lust auf Schönheit, sei es die Schönheit der Sprache, der Welt oder ihrer Bewohnerinnen, die trieb die beiden zueinander.
    Bei unserem Abschied war mir klar, dass ich den Alten nicht wiedertreffen würde. Zu stark musste ich seinen rechten Arm umklammern: damit er mir, heftig bebend, eine Widmung in ein Buch kritzeln konnte. Drei Jahre später starb er. Inzwischen hatte ich noch eine andere Definition einer Männerfreundschaft gelesen. Sie stammt aus einem Drehbuch des französischen Szenaristen Michel Audiard und sie hätte den beiden gepasst: »… Spätnachts ruft A seinen Freund B an, außer Atem spricht er in die Muschel: ›Ich habe jemanden umgebracht.‹ Und B, ruhig, gefasst: ›Wo ist die Leiche?‹ …«
    Die Anmut dieses Ortes in einer

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