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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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erster menschenfreundlicher Reflex an Boden verliert und ich ein starkes Bedürfnis nach einer handlichen Kettensäge entwickle: um dem Rhinozeros und seinem Lieblingssänger die Stimmbänder durchzutrennen.
    Käme jetzt eine Fee entlang und würde mir einen Wunsch erfüllen, ich würde um ein Remake betteln: nochmals einsteigen dürfen in Los Angeles und wieder neben einem landen mit einem Walkman. Aber diesmal würden wir, er und ich, einer anderen Stimme zuhören. Sagen wir, der Stimme von Gene Hackman. Und Gene würde – wie nebenbei – Bert Brechts Erinnerung an Marie A . aufsagen. Von mir aus auch auf englisch, und die Welt klänge dann für Augenblicke so:
     
    It was a day in that blue month September
    Silent beneath a plum tree’s slender shade
    I hold her there, my love so pale and silent
    As if she were a dream that must not fade.
    Above us in the shining summer heaven
    There was a cloud my eyes dwelt long upon
    It was quite white and very high above us
    Then I looked up, and found that it had gone.
    Da bisher keine Sprache erfunden wurde, in die man B. B.s Poesie betörend genug übersetzen könnte, um einen Vergleich mit dem Original auszuhalten, will ich noch die deutsche Fassung dieser ersten Strophe hinschreiben. Gleichzeitig will ich mir versprechen, sie immer dann aufzusagen, wenn ich von einer Kettensäge träume. Als eine Art Serum gegen flaches Atmen und die eigene Mordlust. Hier steht das Wunder:
     
    An jenem Tag im blauen Mond September
    Still unter einem jungen Pflaumenbaum
    Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
    In meinem Arm wie einen holden schönen Traum.
    Und über uns im schönen Sommerhimmel
    War eine Wolke, die ich lange sah
    Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
    Und als ich aufsah, war sie nimmer da.
    Die Fee kommt nicht. Dafür kommt der letzte Zwischenstopp, San José. Es geht aufwärts. Das Rhinozeros und sein Walkman steigen aus. Und ich kaufe eine Zeitung und darf wieder lachen. Ein Artikel spricht über den aktuellen Besuch des chinesischen Präsidenten Jiang Zemin in den Staaten. Gestern war Jiang zu Besuch bei General Motors. Helle Aufregung, denn der Vorsitzende, John Smith Jr., führte den hohen Gast persönlich in die neueste Technologie ein. High Tech , die demnächst von der neuen GM -Produktionsanlage in Shanghai rollen soll.
    Mister Smith und seine 220 000 Mitarbeiter wollen zeigen, dass sie wissen, wie es um China steht, dass sie begriffen haben, wo das chinesische Volk die Not am heftigsten drückt. So wird Jiang mit den Fundstücken eines atemberaubenden, menschennahen Erfindungsgeists konfrontiert. Geradezu lebenswichtig für die 1,3 Milliarden Chinesen mit 300 Millionen Arbeitslosen und einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 52 Dollar scheint die Neuheit, auf die das Haus besonders stolz ist: Vergisst der chinesische Autobesitzer den Schlüssel im Wagen, dann kann er in Zukunft mit seinem Handy eine Nummer anwählen, um sich per Satellit die Autotür öffnen zu lassen. An der Antwort auf die Frage, was passiert, wenn er das Handy vergisst, wird fieberhaft gearbeitet.
    Besonders prädestiniert für diese Genialität scheint der Standort Shanghai mit seiner weltrekordverdächtigen, in den Himmel hinauf und in die Erde hinein stinkenden Umweltverseuchung. Mit seiner Nanjing Lu, auf der bisweilen der Verkehr, der Fußgängerverkehr, zum Stillstand kommt. Und mit seiner Stadtverwaltung, die alle zwei Jahre 300 000 Jugendliche zusammentreibt, um sie in den weniger dicht besiedelten Westen des Landes zu expedieren. Damit sich Shanghai nicht irgendwann unter seinen 15 oder 18 Millionen Einwohnern zu Tode röchelt. Hoch leben die Herren Smith und Zemin: Solche Männer braucht das 21. Jahrhundert.
    Mit San Francisco ist es wie mit den Victoriafällen. Oder dem Golden Triangle . Oder Lana Turner. Lauter Namen, die romance ausstrahlen, die bis zum Jüngsten Tag ein Zauber umgibt. Weil sie astronomisch viele Assoziationen auslösen. Assoziationen, an die man nicht denken kann, ohne zu träumen. Bleibt die Frage, ob sie die Phantasmen einlösen, mit denen sie uns kujonieren.
    San Francisco jedenfalls hält Wort. Außerdem riecht es hier nach Intelligenz und zügig denkenden Köpfen. Von jenseits der Bay weht Berkeley herüber. Im ganz nahen Palo Alto steht die Stanford University , deren Rektor sich gerade ironisch darüber geäußert hat, dass der Campus nicht über genug Parkplätze für seine Nobelpreisträger verfügt. Und Steve Jobs erfand hier

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