Im Land der Freien
Gegenüber von 444 wohnte eine gewisse Mrs Gibbons, eine herzenswarme, leidenschaftliche Nicht-Leserin, die mich zum Tee einlud und nichts verschwieg: » I hated his books, but he was a lovely man .« Eines Tages backte sie für den »Pornographen« einen Kuchen. Und Henry, unermüdlich bereit für eine seiner haltlosen Übertreibungen, bedankte sich, all smiles : » You know, nobody in my life ever made a cake for me .«
Ich sitze noch immer auf der Holzveranda der Memorial Library . Die wichtigste Adresse steht noch aus. Sie anzuschauen befriedigt zwei Sehnsüchte: einmal mehr von der Schönheit dieses Erdteils zu erfahren. Und ein letztes Mal da entlangzuschleichen, wo der Meister ein paar seiner Meilensteine – wie › The Rosy Crucifixion ‹ : ›Sexus‹, ›Nexus‹, ›Plexus‹ – niedergelegt hat.
Ich fahre mit dem Wagen noch einige Meilen weiter nach Süden. Bis zu einer Stelle, wo rechts neben der Straße das Meer und 22 Briefkästen stehen, mit aufgemalten Sonnen und so verwegenen Namen wie » Laughing Willows «, Freudenweiden. Links vom Highway führt die Partington Ridge, eine steile enge Bergstraße, hinauf. » Private Drive « und » No Trespassing « warnen den ungebetenen Besucher. Als ich ankomme, wartet gerade ein Vater in einem seltsam dreirädrigen Vehikel auf seinen Sohn, der jeden Augenblick mit dem Schulbus ankommen muss. Als ich frage, warum er sich hierher verzogen hat, sagt der freundliche Mensch den furchtbaren Satz: » Why? Because it’s not yet polluted by humanity .« Eine halbe Stunde später werde ich wissen, dass das nur die eine Hälfte der Wahrheit ist. Als für unheilbar erklärter Millerfan darf ich passieren.
Ich kenne den Weg. Als ich zum ersten Mal hier ankam, wanderte ich zu Fuß hinauf. Zu oft hatte ich ein Foto vom Haus des Schriftstellers gesehen, um es zu verfehlen: aus Holz, beschattet von Bäumen, hoch oben und mit einem one million dollar view auf den Pazifik und das Ende der Welt. Er kaufte die geräumige Blockhütte mit Garten im Februar 1947, als er – sechsundfünfzigjährig – anfing, von seinen Büchern zu leben. Nicht ohne vorher in einer aufgelassenen Sträflingsbaracke, ebenfalls in Big Sur, gehaust zu haben. Sechzehn Jahre verbrachte er hier. Und erst als Zweiundsiebzigjähriger zog er nach Pacific Palisades, zurück auf die Erde, er war der herausfordernden Mühsal dieses Ortes nicht mehr gewachsen.
Bugger – »Nasenpopel« –, ein schwarzer, dicker, wütender Hund empfing mich damals. Erst zwei Minuten später kam Valentine, Millers Tochter, an die Tür. »Nur wen der Hund nicht abschreckt«, sagte sie, »darf rein.« Ich verstehe, eine Mutprobe als Liebesbeweis für den Vater.
Natürlich war ich nicht der erste Idiot, der sie heimsuchte. Zehn Minuten gab sie mir, um beim Hinsetzen auf das Sofa, das in Millers Arbeitszimmer stand, nicht in Ohnmacht zu fallen. Das war noch original, der Rest bestand schon aus der Einrichtung von Valentines Bruder Tony, mit dem sie das Haus teilte. Ich durfte auch kurz an der Stelle im Garten verweilen, wo der Meister gewöhnlich auf die Knie fiel, um den Göttern zu danken: für das so unverdiente Glück, nicht in einer amerikanischen Stadt leben zu müssen. Mit einem Apfel von einem Miller-Apfelbaum schickte Valentine mich weg.
Als ich heute wiederkomme, ist alles anders. Das Haus gehört jetzt einem Physik-Professor, der in Princeton unterrichtet. Ein stiller, respektabler Herr, wie ich erfahre. Ich läute, obwohl ich weiß, dass er nicht da ist. Bugger ist tot, und die Millerkinder – zu nichts Sensationellem begabt und schon zu lange von den Tantiemen ihres Vaters verwöhnt – sind ins nahe Carmel ausgewandert. Henry, sonst bis zum Selbstruin großzügig, hier war er geizig: Alle Feuer, alle Lust am Rausch hat er mitgenommen. Das Leben von Tony und Valentine, beide über fünfzig, hat Platz auf dem Millimeterpapier. Barbara, eine Tochter aus erster Ehe, heute achtzig, schlug ebenfalls den Weg allen bürgerlichen Fleisches ein.
Ich gehe hundert Meter weiter, bis ans Ende der schmalen Straße. Die Gegend zählt noch immer zu den schönsten im Universum. Bis ich einen Mann näher kommen sehe. Gleich werde ich wissen, dass er Joe heißt und dass ich wünschte, ich wäre ihm nie begegnet. Joe hat das gutgeschnittene Gesicht eines Erwachsenen, der seit einem Vierteljahrhundert in Big Sur lebt und sich jeden Sommermorgen um vier Uhr früh ins Gras setzt, um hinauszuschauen. Er arbeitet als
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