Im Land der gefiederten Schlange
Schwiegertochter zuerst bedacht.«
Nach dem Krieg
schien sich zu einer Art Zauberformel zu entwickeln. Als gäbe es in der Zukunft einen Tag, den man nur erreichen müsste, und alle Qual wäre vorbei. Für Dörte und Fiete aber würde sie nie vorbei sein.
»Vielleicht könnten wir von hier weggehen«, hörte Christoph seine Frau murmeln, die sich sonst schon lange heraushielt. »In Nordamerika sollen protestantische Europäer ein gutes Leben führen. Der Apotheker geht. Wenn die Eycks für unsere Entschädigung sorgen, könnten wir es auch tun.«
»Nie und nimmer!« Fiete, der im Korbsessel vor sich hin gedöst hatte, sprang mit einem Ruck auf. »Dieses verdammte Land Mexiko hat mich alles gekostet. In die Erde dieses verdammten Landes habe ich meinen Bruder, meinen Vater und meine Kinder gelegt, und von diesem verdammten Land gehe ich nicht weg. Und noch etwas: Zu dieser infamen Hochzeit werde ich erscheinen, nicht weil ich der Ansicht bin, du hättest recht getan, Traude, sondern weil es Helenes Hochzeit ist und Helene zur Familie gehört. Diese Familie ist alles, was mir bleibt, für sie muss jeder sein Opfer bringen.«
Es geschah Christoph in diesen Tagen ständig, dass er das, was seine Verwandten taten, nicht verstand. Er fand das nicht verwunderlich. Sie schliefen zu wenig. Sie hatten Sorgen ohne Ende. Es war kein Wunder, dass sie sich betrugen wie Menschen im Ausnahmezustand, denn genau das waren sie.
Verblüffend war, dass die Jungen so unbehelligt wirkten, dass sie taten, was Jugend eben tut – dem Leben trauen. Sich für unbesiegbar halten. In ihren Gesichtern glaubte Christoph dieselbe Sehnsucht und begierige Hoffnung zu lesen, die auch er vor einem halben Leben gehegt hatte. Er liebte sie alle:
Helene, die für ihre Hochzeit übte, ohne Brille durch einen Gang zu schreiten.
Felix, der unbeirrt zeichnete und nichts um sich wahrnahm.
Seine Zwillinge Torben und Friedrich, wie Welpen ineinander verkeilt und die erwachenden Kräfte messend.
Seine liebste Jo, dieses bescheidene Geschöpf, das nie etwas forderte und doch stets für etwas dankbar war.
Und Katharina, die das Steuer übernommen hatte, standfest und breitbeinig wie die Seefahrer, von denen sie stammte. Und die dabei aussah wie einem Liebesgedicht von Goethe entsprungen:
Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt.
Aus der Bahn geworfen wirkten nur Stefan und Hermann. Der eine mit gebeugten Schultern und Trauermiene, als trüge er den Schmerz der Welt auf den Schultern. Und der andere erfüllt von einem Zorn, der Christoph Angst machte. Unsere Söhne sind nicht nach ihren Vätern geraten, stellte er fest. Vielmehr hätte Stefan als sein Sohn durchgehen können, Torben und Friedrich als die von Fiete und Hermann als der Sohn seines Onkels.
Sie gingen zu der Hochzeit. Alle, einschließlich Dörte, die ein Schatten ihrer selbst war. Die Trauung fand tatsächlich in einer Kirche, einem zweitürmigen Gebäude namens Iglesia de la Estanzuela, statt, das neben dem Portal ein Einschussloch groß wie eine Melone davongetragen hatte. Trotz der immensen Beschädigung war die Mauer stehengeblieben. So wie die Stadt.
Fremd und feierlich war die Zeremonie. Schön, fand Christoph, aber zu groß und erhaben für das Brautpaar, das vor dem Altar winzig wirkte – Helene in den Massen von Luises Brautkleid und Sigmund Eyck, als wüsste er nicht, wo er war. Der Bruder des Bräutigams lag krank zu Bett, doch die Eheleute von Schweinitz waren da. Traude ignorierte die beiden, aber Christoph ertappte sich dabei, dass er den Blick nicht von der Frau wenden konnte. Sie trug ein grünes Kleid mit Reifrock und das Haar auf griechische Weise aufgesteckt. In einer anderen Welt, in der Rasse und Alter nicht als Maßstäbe galten, wäre sie die schönste Frau in der Kirche gewesen. An ihrer Seite stand ein Kind, das ihre Tochter sein musste, dunkelhäutig, braunäugig, doch mit fast goldenem Haar.
Nach der Messe gab es keinen Empfang im Haus der Brautmutter, denn Traude hätte es sich nicht leisten können, auch nur einen Gast zu bewirten. So fand lediglich bei den Eycks ein Bankett statt, um der Schicklichkeit willen jedoch ohne Tanz. Es war eine bedrückende Angelegenheit. Die Einrichtung des Hauses glich nicht dem, was Christoph sich unter dem Heim eines Konsuls vorgestellt hatte. Das Mobiliar wirkte alt, die Tapeten verschlissen und die Beleuchtung düster. Das Essen war gut, aber die eine Hälfte seiner Familie sortierte Brocken aus den
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