Im Land der gefiederten Schlange
Gerichten aus, weil sie laut Hermann »dem deutschen Gaumen widerstrebten«, und die andere Hälfte schlang, als litte sie seit Tagen Hunger. Sie litt seit Tagen Hunger. Noch war dank Marthe und Kathi genug da, um alle bei Kräften zu halten, aber satt aß sich schon lange keiner mehr.
Das verhuschte Brautpaar war im Einspänner in ein Hotel geschickt worden, um die Hochzeitsnacht zu begehen. Auch Christoph hatte seinerzeit seine Hochzeitsnacht in einem Hotel in der Stadt verbringen wollen, er hatte sich darauf gefreut, sooft sein Blick während der Zeremonie auf seine reizende Braut gefallen war, aber dazu war es nie gekommen.
Verwandte oder Freunde der Eycks standen in Gruppen und führten gedämpfte Gespräche, während die Hartmanns unter sich blieben. Lediglich Felix hatte sich einem Kreis um die von Schweinitz’ angeschlossen, und recht bald gesellte sich Katharina dazu. Dies war die einzige Gruppe, aus der laute Stimmen und sogar Gelächter herüberdrangen. Und dann sah Christoph, wie Traude sich ruppig der Mutter des Bräutigams bemächtigte, sie vor eines der Fenster zog und begann auf sie einzureden. Gegen seinen Willen trat er bis auf ein paar Schritte heran.
»Ich hatte Ausgaben«, hörte er Traude deklarieren. »Schließlich habe ich meinem Schwager etwas für das Kleid geben müssen, und die Not, in die wir geraten sind, lässt ein Leben in Anstand nicht zu. Sie werden nicht wollen, dass mir der Agiotista zusetzt.«
»Ha, meine Liebe!« Die Frau des Konsuls ließ ein pfeifendes Lachen hören. »Wenn Sie wüssten, wie oft der uns schon zugesetzt hat, würden Sie sich nicht so aufregen.«
Traude ging darauf nicht ein. »Ich denke nicht, dass Sie in meiner Haut stecken und meine Bürde schleppen möchten.«
»Und Sie sind sicher, dass Sie in meiner Haut stecken und meine Bürde gegen Ihre tauschen wollen?«, fragte die Frau des Konsuls zurück.
»Sie können doch nicht verlangen, dass ich mein Haus verkaufe!« Traudes Stimme klang jetzt weinerlich. »Das Einzige, was mir von meinem Mann geblieben ist.«
Und was weder deinem Mann noch dir, sondern Peter gehört, durchfuhr es Christoph. Sie tat ihm unendlich leid. Erniedrige dich doch nicht, wollte er ihr zurufen. Wir sind eine Familie, wir helfen einander. Ich kann dir vielleicht etwas geben, oder wenn nicht, kann ich Marthe fragen … Nur dass er das diesmal eben nicht konnte. Sein Blick schweifte über die Köpfe der Gäste zu Peter, der leblos auf seine Hände starrte. Es war unglaublich, dass dieser Baum von einem Kerl so gänzlich zerbrochen war. Er hatte seine Brauerei verloren, aber verloren hatten sie vieles, und immer war es Peter gewesen, der die Ärmel aufkrempelte und sie alle aus dem Sumpf zog. Was sollte werden, wenn er sich nicht wieder fing, wer von ihnen war in der Lage, seinen Platz einzunehmen?
»Verstehen Sie doch«, drang erneut Traudes Stimme an sein Ohr, »ich kann wirklich nicht warten, bis der Krieg vorbei ist, zumal er ja, wie es aussieht, bis in alle Ewigkeiten weitergeht.«
»Willkommen in Mexiko«, erwiderte die Frau des Konsuls und lächelte. »Am besten fangen Sie an, sich ans Warten zu gewöhnen. Bis der Krieg vorbei ist, bis das Schiff aus Hamburg kommt, bis der Präsident gestürzt ist, bis zum Sankt Nimmerleinstag. Ich möchte Sie nicht mit Dingen behelligen, auf die ich warte. Genießen Sie einfach den Tag, nehmen Sie sich noch vom Milchgelee. Alles andere geschieht sowieso, ob Sie nun darauf warten oder nicht.«
Mehr konnte Christoph nicht hören, weil er den vertrauten Druck spürte, mit dem Marthe ihn am Arm packte. »Du musst etwas tun, Christoph.« Das hatte sie ihm Hunderte von Malen gesagt. Sie wies auf die Gruppe um Micaela von Schweinitz, von der wieder Gelächter herüberhallte. »Hol Kathi da weg.«
Kathi stand neben der Baronin und betrachtete eine Zeichnung, die Felix ihnen zeigte. Sie hatte die Brauen in die Stirn gezogen und wirkte völlig versunken.
Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer …
Marthe rüttelte ihn. »Bist du jetzt auch noch taub? Hol Kathi da weg!«
Schleppenden Schrittes näherte er sich der Gruppe. Es war seine Pflicht, sich darum zu kümmern, auch um die arme Traude, um Fiete und Dörte – warum nur hingen sie alle von einem Mann ab, der so wenig Mumm in den Knochen hatte? Micaela von Schweinitz bemerkte ihn. »Einer der Herren Hartmann, richtig?«, fragte sie in ihrem schönen, schweren Deutsch. »Treten Sie näher, wir bewundern gerade das Werk eines jungen
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