Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
Vom Netzwerk:
Getöse der Kohlenwagen in sie hineingeschoben, und der erste Personenwagen folgte. Gehüllt in Schwaden von Rauch, prallten alle drei auf dem Boden auf. Dass er sein Gewehr abgefeuert hatte, bemerkte Benito erst, als seine fliegenden Finger es nachluden.
    Der Einsatz hätte besser nicht laufen können, alles vollzog sich noch reibungsloser als geplant. Die Männer feuerten, was das Zeug hielt. Ein Dutzend von ihnen schoss aus der Deckung und stürmte den Hang hinunter, doch in der Zerstörung und dem Chaos leisteten die Infanteristen, die den umgestürzten Waggons entflohen, kaum Gegenwehr. Die Handvoll, die kopflos aus dem Tal floh, würde nicht weit kommen, denn von Süden rückte eine mexikanische Kavallerieeinheit ein. Zu tun bliebe der Verstärkung nichts mehr – die Kompanie Guerilleros hatte die Arbeit allein vollbracht. Nach einer Dreiviertelstunde konnte Benito den Rückzug auf den Kamm befehlen. Sie hatten nicht einen Mann verloren und keine schwere Verwundung zu beklagen.
    Bis zu der verborgenen Zeltburg, die vorübergehend als Hauptquartier fungierte, mussten sie sich auf der anderen Seite des Hügels gut anderthalb Meilen weit ins dichtere Waldgebiet schlagen. Ehe Benito den Kamm überquerte, schloss sein Teniente, ein junger Mestize aus Veracruz, zu ihm auf. Seine Wangen glühten. »Was für ein Erfolg, Capitán«, rief er, die Stimme nur mühsam gedämpft. »Denen haben wir’s gegeben. In unser Land schaffen die ihren österreichischen Langbart nicht!«
    Benito erlaubte sich einen Blick zurück in die Schneise, auf die umgestürzten Waggons, die noch immer von Dampf umhüllte Lokomotive, die Leichen von Männern und Pferden, das leuchtende Grün und die Sprenkel der beginnenden Blütezeit. »Ja«, sagte er müde, »was für ein Erfolg.« Dann befahl er dem Teniente, den Übrigen in den Wald zu folgen, weil sein Magen sich verkrampfte.
    Er hätte Coronel Ferrante zum Abendessen aufsuchen und einen Bericht abliefern müssen, aber er blieb dem Tisch des Befehlshabers ohne Entschuldigung fern. Die meisten der erschöpften Männer hatten sich bereits schlafen gelegt, als der Coronel den Kopf in sein Zelt steckte. »Sie kommen jetzt mit mir«, sagte er. »Und zwar ein bisschen plötzlich.«
    »Wir haben keine Zeit für Strafgerichte, Coronel.«
    »Reden Sie kein dummes Zeug«, wies ihn Ferrante barsch zurecht. »Wenn ich Sie für Ihre schlechten Manieren bestrafen wollte, hätte ich Sie vor Stunden holen lassen können, oder? Soweit ich weiß, habe ich Sie in fünfzehn Jahren nie bestraft, weil mir klar war, dass das nichts genützt hätte. Sosehr es mich wurmt, Sie sind für die Armee nicht geschaffen, weil Sie kein Mann sind, der sich unterwerfen kann. Natürlich wollen Sie auch nicht von mir hören, dass Sie Ihre Sache heute großartig gemacht haben. Ich habe eine ganze Reihe Männer gekannt, die zu stolz für die Peitsche waren, aber Sie sind sogar zu stolz für Lob.«
    Benito erwiderte nichts.
    »Jetzt kommen Sie schon«, brummte Ferrante. »Ich will nichts als ein Glas mit Ihnen trinken. Morgen früh sind Sie unterwegs, und es ist nicht anzunehmen, dass wir zwei uns noch mal wiedersehen.«
    Schwerfällig folgte er dem Coronel aus dem Zelt. Wider Erwarten schlug dieser nicht den Weg zu seinem Quartier ein, sondern ging ihm voran zu einer Lichtung, auf der die Pferde angepflockt standen – der Braune, auf dem Benito hergekommen war, ein Falbe, der dem Coronel gehörte, und ein herrlicher Dunkelfuchs, den Benito nicht kannte. »Ein Pferd ist derzeit noch schwieriger aufzutreiben als eine Waffe«, sagte Ferrante, der bemerkt hatte, dass der edle Kopf des Tiers Benitos Blick fesselte. Er schraubte den Becher von seiner Feldflasche und füllte ihn. Benito roch den dunklen Tequila, den der Mann schon als Capitán in Veracruz getrunken hatte, und hätte ihn gern hinuntergestürzt, aber sein Magen verkrampfte sich erneut. »Schon recht«, sagte der Coronel und leerte den Becher selbst. »Das müssen Sie mir jetzt aber erklären, andernfalls lasse ich Sie nicht ziehen.«
    »Was?«
    »Sie können schießen wie ein junger Kriegsgott, und Sie sind mindestens so entschlossen wie ich, diesen Haufen von kleinen Napoleons aus Mexiko hinauszuwerfen. Weshalb spucken Sie sich die Seele aus dem Leib, wenn Sie ein paar davon zur Hölle schicken? Und machen Sie sich nicht vor, ich wüsste nicht, dass Sie auf alles schießen, aber nicht auf Menschen.«
    »Das macht keinen Unterschied!«, entfuhr es Benito. »Ich töte

Weitere Kostenlose Bücher