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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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allen Inhalt von sich gegeben und ein paarmal leer gewürgt hatte, wagte er sich zu den Männern zurück.
    Er würde darauf achten müssen, morgen früh nichts zu sich zu nehmen. Vielleicht hätte er doch Martinas Rat befolgen und zerriebene Windensamen in Kakao oder Agavenbier trinken sollen, Ololiuqui, das Rauschmittel seines Volkes, das kein Verbot der Eroberer hatte ausrotten können. »Wenn du das im Blut hast, vergisst du deine Schmerzen«, hatte Martina gesagt, ehe sie ihm die Wunde am Unterarm geöffnet und die Kugel entfernt hatte. Als er sich weigerte, schalt sie ihn aus: »Glaubst du, ich bewundere dich, wenn du auf meinem Tisch den Helden spielst?«
    »Nein. Aber vielleicht glaube ich, dass wir nicht alle Schmerzen vergessen sollten.«
    »Dummes Männergeschwätz. Wenn du mir beweisen willst, dass du aus Stahl bist und weder Schmerz noch Angst kennst, bitte, aber wenn du mir nachher die Ohren taub brüllst, erwarte kein Mitleid von mir.«
    »Ach, Martina«, hatte er gesagt, »in Wahrheit habe ich vor deinem Gifttrunk mehr Angst als vor deinem Messer«, und dann hatten sie beide gelacht. Dass er sich vor dem Ololiuqui fürchtete, war nicht einmal gelogen. Es hieß, wer es einnehme, durchlebe Erfahrungen seiner Kindheit noch einmal bis in glühendste Einzelheiten. Lieber kotze ich mir die Seele aus dem Leib, dachte er, schüttelte sich und machte sich daran, den Schienenabschnitt abzuschreiten.
    Hier und da kniete er nieder, um im Dunkeln zu prüfen, ob der Bewurf ausreichte und die Grube unter dem Metall tief genug war. Was sie taten, war richtig, versicherte er sich. Die Truppen, die in diesem Zug transportiert werden sollten, durften nicht zur Verstärkung ins Landesinnere gelangen, ehe Kompanien bereitstanden, um sie hinter der Hauptstadt aufzuhalten. Juárez und sein Kabinett waren nach San Luis Potosí, nördlich von Querétaro, zurückgewichen und mussten geschützt werden. Das war seine Aufgabe, nur daran durfte er denken. Wenn es den Franzosen gelang, die gewählte Regierung Mexikos aus dem Land zu treiben, mochte das den Kampfgeist des Widerstands brechen. Die dreiste Lüge Napoleons, das Volk wünsche sich den Habsburger Prinzen zum Kaiser, mochte traurige Wirklichkeit werden. In Nordamerika tobte noch immer der Bürgerkrieg, von dort hatte Juárez keine Hilfe zu erwarten. Für Mexiko kämpfen konnten nur Mexikaner.
    Mexikaner müssen wir doch erst werden, glaubte er die Stimme seines Bruders zu hören. Das eine Volk Mexikos, das sich sein Vaterland von keinem rauben lässt. Nur mit Mühe unterdrückte er ein Lachen, eins dieser hustenden Gelächter, die Männer ausstoßen, weil ihnen zum Heulen der Mut fehlt. Du würdest dich über mich wundern, Miguel, und ich glaube, dir würde das hier gefallen. Wenn du da wärst, würde ich dir sagen, dass du auf seltsame Weise recht hattest und dass mir dein pathetisches Gerede fehlt.
    Er winkte seine Männer zusammen und schickte sie noch auf drei Stunden zum Schlafen in ihr Versteck. Im Morgengrauen würden sie sich in der Deckung am Hang verteilen und stundenlang auf den Zug warten. Zwar war mit diesem erst gegen Mittag zu rechnen, doch kam es immer wieder zu plötzlichen Änderungen des Fahrplans, den die Franzosen nach ihrem Gutdünken gestalteten.
    Es war der letzte Einsatz, bei dem er seine Kompanie befehligte. Ab morgen würde sie einem anderen Capitán unterstehen, während er einen Posten als Kurier zwischen der Regierung in San Luis Potosí und den Guerillaeinheiten um die Hauptstadt übernahm. Zwischen den Einsätzen würde er in der Stadt ein unauffälliges Leben führen, umso mehr, da er als Redakteur des mittlerweile verbotenen
El Siglo XIX
ohnehin auf einer schwarzen Liste stand. Um der Gefahren willen hatte der Coronel ihm in Juárez’ Namen eine Beförderung in Aussicht gestellt, aber Benito hatte abgelehnt. »Jetzt hören Sie schon auf, sich zu zieren«, hatte Ferrante gesagt, »vermutlich überleben Sie auf dem tödlichen Posten keine vier Wochen, und gemütlich wird man Ihnen das Sterben auch nicht machen. Also können Sie’s wenigstens als Mayor tun.«
    »Seit wann machen Sie Amarantfresser zu Mayors?«
    »Seit ich mit Ihnen geschlagen bin, Sie Hornochse. Merken Sie in Ihrem sturen Schädel eigentlich, wenn Ihnen jemand Gutes tun will?«
    Ja, hatte Benito gedacht und gegen ein Lächeln gekämpft. »Wenn dieser Zirkus vorbei ist, werfe ich den ganzen Plunder ab und setze mich wieder an meinen Schreibtisch«, hatte er zu Ferrante

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