Im Land der gefiederten Schlange
solcher Weise verriet, war undenkbar. Dennoch vermochte er den Schmerz des Kaisers nachzuempfinden. Max gehörte zu jenen seltenen Menschen, die sich für das, was sie liebten, bedingungslos einsetzten, und umso schmerzlicher traf ihn der Kleingeist seines Bruders. Ich habe noch nie so geliebt, stellte Valentin fest und wünschte sich mit jäher Sehnsucht, es von Max zu lernen.
In gewisser Weise war er froh, dass Franz Joseph seinem Bruder keine Kompanie auf den Weg gab, sondern lediglich der Anwerbung eines Freiwilligenkorps zugestimmt hatte. Zwar hatten die Werber ihre Arbeit aufgenommen, doch bis erste Einheiten nach Mexiko verschifft wurden, würden Monate vergehen. Solange waren die Männer der Novara die einzigen Offiziere, die Maximilians Heimat entstammten, seine Sprache sprachen und auf ihn vereidigt worden waren. Die einzigen Vertrauten. Der Gedanke war so erregend, dass Valentin sich zur Ordnung rufen musste, als jetzt die Flügeltüren wieder aufschwangen.
In den totenstillen Saal führte der Graf von Zichy die mexikanische Delegation, zwölf Männer in schwarzen Fracks, die gekommen waren, um der Vereidigung des Kaisers beizuwohnen. Drei Schritte vor dem kaiserlichen Paar blieb der Anführer stehen, um seine Rede zu halten. Er war ein grauhaariger, hagerer Mann namens Guiterrez de Estrada, ein monarchistischer Diplomat, den seine Überzeugung ins Exil gezwungen hatte.
Er sprach Französisch, die Sprache der europäischen Höfe, und wenn alle mexikanischen Politiker so kultivierte Manieren an den Tag legten, dann wusste Valentin nicht, warum jemand sich herausnahm, diese Menschen Wilde zu schimpfen. War nicht viel eher ein österreichischer Herrscher ein Wilder, der den eigenen Bruder ohne Schirm und Schutz in die Fremde schickte? Guiterrez sprach von den Schrecken des Bürgerkriegs, der Mexiko verwüstet hatte, und dann sah er Max geradewegs in die Augen. »Die Hoffnung, die auf Euch ruht, mein Kaiser, ist so gewaltig wie die Weiten, die sich vom tropischen Urwald um Veracruz bis in die kargen Gipfel der Sierra San Pedro Mártir erstrecken. Durch Euch wird mein Heimatland zu neuer Blüte gelangen wie einst durch die Hand der noblen spanischen Eroberer.«
Was Maximilian dann tat, würde mit diesem Tag, dem 10 . April 1864 , in die Geschichte eingehen. Von einem Minister ließ er sich das Skript reichen, sandte dem Gast ein Lächeln und gab ihm Antwort auf Spanisch. Seit einem Jahr hatte er die Sprache seiner neuen Untertanen gelernt. »Wir sind zum Kaiser gewählt, nicht von einer Versammlung von Notabeln«, sagte er, »sondern von den Menschen Mexikos, von denen jeder einzelne uns am Herzen liegt.«
Valentins eigenes Spanisch war zu schütter, um vom Rest der Rede viel zu verstehen, aber Maximilians Stimme genügte ihm. Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, brachen die Mexikaner in Jubel aus. »Lang lebe Maximilian, Kaiser von Mexiko!«, riefen sie, und die versammelten Österreicher stimmten ein. Auch wenn er es nicht sehen konnte, wusste Valentin, was in diesem Augenblick auf dem Dach des Palastes geschah, und es trieb ihm Tränen in die Augen. Die Trikolore, die kaiserlich-mexikanische Fahne, wurde über Miramar aufgezogen, und gleich darauf brachten die Kriegsschiffe im Hafen ihre Salutschüsse aus.
Nach Maximilians Vereidigung folgte der Dankgottesdienst in der Kapelle, anschließend gab es ein Essen und dann eine weitere Zeremonie, in der das Abkommen mit Frankreich unterzeichnet wurde. Vor dem Abendessen wurden die Offiziere entlassen, um ihren eigenen Abschied von der Heimat zu begehen. Valentin hatte zugesagt, Gabor und die niedliche Ildiko zu einem letzten Umtrunk zu treffen, ehe ihn die Barke zurück auf die Novara brachte.
Im Park von Miramar wimmelte es noch immer von Menschen. Leutselig, wie er war, hatte Max die Anlage für die Bevölkerung freigegeben, die sie zu Spaziergängen nutzte. Heute nun hatten sich die Triester in Scharen eingefunden, um einen Blick auf den geliebten Erzherzog zu erhaschen, ehe er ihnen für immer enteilte. Valentin wollte den Weg bis zum Stellplatz, wo der Johann mit dem Wagen auf ihn wartete, im Laufschritt hinter sich bringen, doch in der Menge entdeckte er einen Mann, den er kannte. Im selben Moment rief der Mann seinen Namen: »Valentin! So wart doch!«
Toni Mühlbach. Sein Kamerad aus Wien. Er kam nicht einmal dazu, ein Wort zur Begrüßung auszusprechen, da hatte ihn der Toni schon am Ärmel gepackt und von dem Volksauflauf weggezogen. »Du
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