Im Land der gefiederten Schlange
gesagt. »Je mehr Sie mir überhängen, desto schwerer machen Sie es mir.«
»Nichts anderes hatte ich vor«, hatte der Coronel geknurrt.
Er würde ihn vermissen, er würde seine Männer vermissen. Statt Cuatl, der jetzt bei Martina sein Gnadenbrot fraß, würde er fremde, geliehene Pferde reiten. Aber vielleicht war das gut so, vielleicht half es der Angst ab, wenn man tat, als würde einen nichts ans Leben binden. Unter den tief hängenden Blättern der Christuspalmen hindurch kroch er in seinen Unterschlupf. Die Luft roch, wie sie es nur in den Tropen tat, bevor die Sonne aufging, feucht und schwer vor Fülle. Als er einen Fuß in die Grube setzte, die ihm als Schlafplatz diente, stieß er auf Widerstand. Er beugte sich tiefer und erkannte ein Gürteltier, das sich an seinem Tornister zu schaffen gemacht hatte und jetzt mit klebriger Zunge Krumen vom Boden leckte. Erschrocken ließ es von seiner Beute ab und rollte sich zu einem gepanzerten Ball. Benito fand es unglaublich schön. Wie vorzüglich es in seinen Schildplatten gerüstet war, wie schnell es reagierte, um sich zu schützen! Nur ein Mensch konnte töricht genug sein, sich einzureden, ihn binde nichts ans Leben.
Der Zug von Veracruz nach La Soledad kam fahrplanmäßig eine Stunde nach Mittag durch das Tal. Benitos Männer hatten sich auf den Hängen in Abständen von sechs bis zehn Schritten verteilt und in der Deckung stundenlang ausgeharrt. Von Zeit zu Zeit befahl Benito ihnen, sich zu bewegen, die Muskeln zu dehnen und zu lockern, ohne sich allzu weit herauszuwagen. Befehle wurden von einem Posten zum anderen weitergegeben und umgehend ausgeführt, ganz gleich, ob der Empfänger Weißer, Mestize oder Indio war. Hätten wir in Friedenszeiten so Hand in Hand gearbeitet, wäre niemand auf die Idee gekommen, uns einen fremden Kaiser ins Land zu pflanzen, dachte Benito, aber solche Gedanken waren müßig. Jetzt hatten sie dafür zu kämpfen, dass die Friedenszeiten wiederkehrten, und damit noch einmal eine Chance.
Lange bevor die Lokomotive in Sicht kam, kündigte das unverwechselbare Schnaufen sie an, begleitet vom Rattern der Räder und den Hufschlägen der Kavalleristen, die dem Truppentransport Geleitschutz gaben. Von jetzt an durfte es kein Nachdenken mehr geben, alles musste ablaufen wie ein Steinschlag, der sich nicht aufhalten ließ. Niemand durfte schießen, ehe der Zug aus der Bahn geriet, doch sobald das geschah, musste die erste Salve die Kavalleristen niedermähen. Die hohe Feuerrate der Hinterlader würde ihnen dabei zu Hilfe kommen. Es war nicht leicht gewesen, diese Bewaffnung für die Kompanie durchzusetzen, aber die modernen Gewehre mochten ihnen das Leben retten. Nur wenn sie schnell genug schossen, würde keiner der Gardisten überleben und zurückfeuern.
Benito prüfte noch einmal Projektil und Treibladung. Die Ladung über die hintere Kammer war denkbar einfach, weshalb die Waffe sich trefflich für den Einsatz in der Deckung eignete. Wenn nach den ersten Salven eine Gruppe vorstürmte und in den Nahkampf ging, würde der Rest beständig nachladen und ihnen Feuerschutz geben. Sie hatten jeden Schritt so oft durchgespielt, dass im Grunde nichts schiefgehen konnte, aber der Augenblick, in dem zwei Einheiten bewaffneter Männer aufeinandertrafen, hatte mit den Übungen vorher nie etwas gemein. Das Kreischen der Räder verriet, dass der Zug sich in die Kurve legte, hinter der er in die Senke hineinglitt. In die Falle, die zuschnappte. Benito ging in die Knie, brachte beidhändig die Waffe in Anschlag und bereitete sich darauf vor, beim nächsten Herzschlag zu zielen. Gleich darauf sah er die vordersten Reiter.
So schnell, wie er begriff, dass etwas nicht war, wie es sein sollte, so schnell befahl er sich, nicht darauf zu achten. Es ist einerlei, es macht keinen Unterschied! Die Soldaten, die dem Zug voranritten, waren keine Franzosen. Ihre Gesichter waren dunkel wie sein eigenes.
Ägypter. Zur Verstärkung eingekaufte Söldner. Männer, die durch die Staatsschuldverwaltung der Franzosen keine Wahl hatten, als in der Fremde für Ziele zu kämpfen, die mit ihrem Leben nichts zu tun hatten. Es ist einerlei, es macht keinen Unterschied! Das Nächste, was er wahrnahm, war das Geräusch des entgleisenden Zugs, ein Schrillen, Krachen und Dröhnen, als würde die Welt zersplittern. Vom Metall der Gleise stoben Funken, die Lokomotive neigte sich zur Seite und schien in dieser Lage minutenlang zu schweben. Dann wurde mit erderschütterndem
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