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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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ihr angetan hatte. Nicht als alte Jungfer, deren Magen sich zum Knoten ballte, wenn ihre Schülerinnen über Liebesbriefe kicherten. Nicht ein einziges Mal war in ihr die Frage laut geworden: Verdammt noch mal, warum hast du nie nach mir gesucht? Ich habe in dir meinen Retter gesehen – verdammt noch mal, warum warst du so feig?
    Irgendwann war sie zu dem Schluss gekommen, Benito müsse tot sein. Und tot hätte er bleiben sollen! Dass er in all den Jahren nicht mehr als ein paar Meilen von ihr entfernt gelebt hatte, für die Zeitung schrieb, die sie las, und sich mit ihrer Freundin vergnügte, war ein Verrat, der wie Fieber in ihr wütete. Hatte Martina je ihren Namen erwähnt, wusste er, dass sie in ihrem Haus wohnte, amüsierte er sich über die süße Kinderliebe, von der sie geglaubt hatten, sie währe ewig, die jetzt aber vergessen und begraben war?
    Ich sollte dasselbe tun. Mich amüsieren. Vergessen und begraben. Dafür, dass sie die Seligkeit, die sie ein einziges Jahr lang in seinen Armen gehabt hatte, nicht ersetzen oder verlachen konnte, hätte sie ihn beschimpfen, verletzen, ins Gesicht schlagen wollen. Dazu aber hätte sie ihn vor sich haben müssen, und das war undenkbar.
    Auf die Feier ging sie, weil Martina und Felix wichtiger waren. Die beiden bemühten sich so sehr um sie und hatten diesen Liebesdienst von ihr verdient. Zudem mischte sich in ihre Angst verstohlen eine Spur Hoffnung. Wenn die Familie sie ebenso vermisste, wie sie es tat – würden sie dann vielleicht die Gelegenheit nutzen und endlich Licht in dieses Dunkel bringen?
    Die Angst wie die Hoffnung hätte sie sich sparen können. Von der Familie erschien nur Stefan. Die Übrigen hatten geschlossen befunden, dass Felix nach allem, was er ihnen angetan hatte, für sie gestorben sei. »Der gute Stefan ist heimlich gekommen«, flüsterte Martina ihr zu, die ein Ensemble in Rot, Weiß und Grün trug und jedes Mal, wenn die ausgelassene Gesellschaft auf sie anstieß, ausrief: »Lang lebe das freie, demokratische Mexiko!«
    »Wie meinst du das?«
    »Wenn euer Hermann ihn erwischt, wird er aus der heiligen Familie ausgeschlossen«, wisperte Martina verschwörerisch. »Bemerkenswert, dass die Hartmanns, das Herz des Deutschen Hauses, wieder einmal keine anderen Sorgen haben, was?«
    »Lass dir davon nicht deinen Tag verderben«, bat Katharina.
    »Ich?« Martina lachte und küsste sie auf den Kopf. »Bestimmt nicht. Und du sei nett zu deinem Stefan. Er mag nicht eben vor Mut strotzen, aber immerhin hat er sich um deinetwillen hergewagt.«
    Sie sah Stefan des Öfteren im Deutschen Haus, wo sie einander wie entfernte Bekannte grüßten. Jetzt näherte er sich ihr Schritt um Schritt wie ein verschüchtertes Kind. Katharina wusste, dass sie ungerecht war, aber sein Zaudern ging ihr entsetzlich auf die Nerven. Irgendwann stand er mit zwei Gläsern eines Mischgetränks mit Pomeranzen neben ihr. »Ich will dich nicht stören, Kathi.«
    »Dann tu’s nicht.«
    »Ich bin gekommen, weil ich dich sehen wollte«, murmelte er auf die Gläser hinunter.
    »Aber den Mut, deiner Mutter zu sagen: Ich gehe, weil ich Kathi sehen und Felix gratulieren will, hast du nicht aufgebracht, richtig?«
    Er schluckte und gab ihr eins der Gläser, um sich mit der freien Hand die Stirn zu reiben. Dann sagte er: »Hätte ich auch nur ein bisschen Mut in den Knochen, wäre mein Leben anders verlaufen.«
    Vielleicht bin ich es nicht wert, dass ein Mann für mich Mut aufbringt, dachte Katharina. Das Pomeranzengetränk war das bitterste, was sie je getrunken hatte. War ich wirklich einmal so töricht, mir einzubilden, ein Mann würde auf einem Schimmel quer durch Mexiko reiten, um mich wiederzufinden?
    »Ich will nicht noch dich durch meine Feigheit verlieren«, sagte Stefan. »Und vor allem will ich nicht, dass du durch meine Feigheit noch mehr leiden musst. Ich weiß nicht, was ich tun soll, Kathi.«
    Sie wandte sich ihm zu. »Und wer, glaubst du, weiß es sonst?«
    Die Musik war so süß wie die Pomeranzen bitter. Eine Habanera, so langsam gespielt, dass nur tanzen konnte, wer völlig verliebt und ineinander versunken war. Abrupt unterbrach sie ein Gejohle, weil ein Bote mit einem Geschenk eintraf. »O mein Gott.« Stefan lachte verkrampft. »Stell dir vor, deine Mutter wäre hier.«
    »Meine Mutter? Das Dienstmädchen?«, fragte Katharina spitz, aber auch sie sah gebannt auf das Geschenk, um das Felix, Martina und die Gäste sich scharten. Es war ein zierlicher Käfig aus

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