Im Land der gefiederten Schlange
Das Kostüm aus laubgrünem Samt, das sie zum Reiten trug, hatte er für sie fertigen lassen und ebenso die Roben für die Bälle, festlichen Diners und Soireen, die er mit ihr besuchte. Erlesene Kleider, gearbeitet von dem Schneider, den die Kaiserin aus Triest mitgebracht hatte, dazu Schuhe und Schmuck. Katharina kam sich seltsam in all der Pracht vor, wie eine in Ölpapier zerschmolzene Süßigkeit. Valentin aber bestand darauf, dass die Kleider ihre Reize zur Geltung brachten, und weil er so viel Freude daran hatte, hatte sie sie auch. Was für eine Rolle spielte es, ob sie sich gefiel, wenn es doch so himmlisch war, ihm zu gefallen? Er überschüttete sie mit Komplimenten, von denen sie oft kaum glauben konnte, dass damit keine glamouröse Schönheit, sondern sie gemeint war, und wenn er sie in die Arme zog, wusste sie, dass jedes Wort der Wahrheit entsprach.
Im Deutschen Haus hatte man sie vor das Komitee zitiert, weil sie den Unterricht so häufig ausfallen ließ. Ihr Gewissen plagte sie deswegen, aber es war schwierig genug, in seinem Dienstplan Freiräume zu finden. Sie und Valentin hätten in jedem Augenblick des Tages beieinander sein wollen, und jede Trennung riss an ihrem Lebensnerv. Der Einfachheit halber behauptete Katharina, sie habe eine weitere Stellung annehmen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und könne nicht mehr so viel Zeit erübrigen.
Ein deutsches Mädchen lügt nicht, fiel ihr ein. Aber für ein deutsches Mädchen, das nach Strich und Faden belogen worden war, galten andere Gesetze.
In Klumpen wirbelte Erde auf, und eine Schar Kinder, die mit Reifen gespielt hatte, stob kreischend aus dem Weg. Valentin lachte. Viel zu früh für seinen Geschmack, doch als ein Segen für Katharina war die Allee zu Ende und mündete in das von Zitterpalmen beschattete Rondell um den Brunnen. Valentin sprang ab, eilte um die Pferde herum und hob Katharina aus dem Sattel. Die Herbstsonne fing sich in seinem Haar und verlieh ihm einen rötlichen Glanz. Einen Herzschlag lang hielt er sie über dem Boden und küsste ihre Lippen. Als er sie sacht niedersetzte, lehnte sie sich an ihn und genoss einen jener zahllosen Augenblicke, in dem alles andere ausgelöscht und sie restlos glücklich war.
Sie führten die Pferde einen schmalen Pfad entlang bis zu einem künstlichen Weiher, in den ein umgestürzter Pfefferbaum hing. Obwohl der Stamm halb zerbrochen war, trug der ins Wasser ragende Ast volles Laub und rosige, pfeffrige Früchte. »Der Kaiser wird dafür sorgen, dass so etwas wegkommt«, hatte Valentin gesagt, als sie den verrotteten Baum entdeckt hatten. Inzwischen aber war der Ort ihnen als Liebeshort ans Herz gewachsen. Gewiss würde er seinen Kaiser darum bitten, den Baum zu verschonen, wenn dieser je dazu kam, sich um derlei Banalitäten zu kümmern. Valentin hatte ihr erzählt, dass der Kaiser jeden Morgen um vier Uhr aufstand, um im Kerzenlicht mit der Arbeit zu beginnen, und dass die Zeit dennoch nie genügte, um auch nur einen Bruchteil der Wunden, aus denen Mexiko blutete, mit Salbe und Mull zu versorgen.
Wie man auch immer über den Kaiser dachte, und Katharina wusste nicht mehr, wie sie über ihn dachte – es ließ sich nicht leugnen, dass er sich Mexiko mit Leib und Seele widmete. Sie war ihm mehrmals auf Festlichkeiten im Palacio Nacional wie in Chapultepec begegnet und hatte seine freundliche Lässigkeit inmitten förmlicher Etikette gemocht. Valentin schien enttäuscht, weil sie nicht in Ehrfurcht erstarrte, und sie hätte ihm gern erklärt, dass sie in einer Republik geboren war und darum nicht erfassen konnte, warum ein Kaiserthron ihr Ehrfurcht abverlangte. Letzten Endes hatte sie es bleibenlassen. War der Kaiser nicht in der Lage, ihr Bewunderung zu entlocken, so war es Valentins Liebe zu ihm. Hatte sie je einen Menschen gekannt, der mit so viel Ernst und Feuer liebte? Und mit derselben Unbedingtheit liebte er sie.
Valentin band ihre Pferde an den zerborstenen Baumstamm, schnallte seinen Rucksack vom Sattel und breitete die Decke für sie aus. Sie fand es schon recht kalt, um im Gras zu sitzen, doch er, der aus kühleren Gefilden stammte und durch den Armeedienst abgehärtet war, spürte davon nichts, und sie hätte nie und nimmer auf diese Stunden mit ihm verzichten wollen. Dem Rucksack entnahm er die kostbaren Kristallgläser, von denen sie nie fassen konnte, dass sie bei den wilden Ritten nicht zerbrachen. »Sie sind wie der Kaiser«, hatte er ihr erklärt. »Auf einen
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