Im Land der gefiederten Schlange
habe ihr hundertmal von dir vorgeschwärmt, bevor der verfluchte Säbelrassler aufgetaucht ist, aber glaubst du, sie hat ein einziges Mal zu mir gesagt: Liebste Martina, diesen Kerl, über den du mir ein Ohr abschwatzt, den kenne ich? Nicht ein Wort! Und warum seid ihr beide solche Lügner? Warum erzählst du mir, sie sei dir an dem Tag begegnet, an dem der gottverfluchte Kaiser kam?«
Felix schob Benito das Glas mit dem Mezcal hin und zwinkerte ihm zu, aber Benito schien ihn nicht zu sehen und rührte das Glas nicht an. »Weil ich der Ansicht war, das sei meine Sache«, sagte er zu Martina. »Ich weiß, das widerspricht deiner Auffassung von Freundschaft, und du hast recht, du hättest Besseres von mir verdient.«
Warum redete er sich nicht heraus, fragte sich Stefan, warum sagte er nicht, das alles sei eine längst vergessene Kinderei?
»Das hätte ich allerdings«, entgegnete Martina scharf. »Du hast mich getäuscht, mein Bester – und ich habe auch noch versucht dir zu helfen.«
»Jetzt lass doch dem armen Mann seinen Frieden«, schimpfte Felix. »Seine Abreibung haben wir ihm verpasst, aber nun muss es auch gut sein. Was ist denn schon passiert? Wenn ich richtig verstanden habe, hatte er vor Urzeiten ein Geplänkel mit meiner Base Kathi, und wenn meine heilige Familie davon etwas erfahren hätte, hätten sie ihn mit der Hundepeitsche totgedroschen. Du hast keinen Grund, dasselbe zu tun, nur weil er dir nicht jeden Kuss beichtet, den er je von einem Mädchen bekommen hat.«
Benito Alvarez drehte sich mit einem halben Lächeln zu ihm um. »Besten Dank, Kamerad. Bei Gelegenheit revanchiere ich mich, aber Martina hat trotzdem recht.«
»Und ob ich recht habe!«, rief Martina. »Die Küsse, die dieser Kerl von irgendwelchen Mädchen bekommen hat, kann er doch selbst nicht mehr zählen, aber das eine darfst du mir glauben: Wenn ein Mann dieses Funkeln in den Augen hat, dann weiß ich Bescheid. Dann geht es nicht um ein paar Küsse, und Hundepeitschen helfen gar nichts dagegen. Ist es so, oder erzähle ich Unsinn, Señor Capitán?«
»Es ist so«, erwiderte Benito höflich. »Aber es nützt nichts.«
Er liebt sie noch immer, wurde Stefan plötzlich klar. Er hat sich aus dem Elend herausgekämpft und sein Leben gestaltet, wie er es wollte, er hätte hundertmal heiraten können, aber er hat sie nie vergessen. Was wir ihm angetan haben, ist noch viel ungeheuerlicher, als ich es mir vorgestellt habe.
Sie hätten so nicht handeln dürfen. Was immer es nach sich gezogen hätte, sie hätten nicht diesen Mann opfern dürfen, der nichts verbrochen hatte, als Kathi von ganzem Herzen zu lieben. Wir hätten es Kathi nicht antun dürfen – mit der Liebe dieses Mannes hätte sie ihre Zeit in die Schranken weisen können, Kinder bekommen, ein Haus mit Leben füllen, Mexiko auf dem Kopf tragen wie Josefa Ortiz.
War es das, was seine Mutter ihr sagen wollte, hatte sie ihn nach Kathi geschickt, um sie um Verzeihung zu bitten, ehe sie starb? Aber es war doch zu spät, es nützte doch nichts mehr. Glasklar erkannte Stefan, dass das nichts änderte, dass er es dem anderen schuldig war, seinen Fehler zu bekennen.
»Señor Alvarez«, sagte er.
Der Mann wandte den Kopf und hob eine Braue.
»Was ich Ihnen erzählt habe … damals, in Veracruz – es ist nicht wahr!« Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen. Als er seine Stirn umfasste, trafen seine Finger auf Schweiß.
»Ich weiß«, sagte Benito Alvarez.
»Sie wissen …«
»Ich habe Jahre gebraucht, um es herauszufinden. Aber ja, inzwischen weiß ich es.«
»Es ist meine Schuld!«, rief Stefan und spürte die Tränen, die ihm befreiend über das Gesicht strömten. »Ich habe zu Kathi gesagt: Er hat sich getröstet. Vergiss ihn. Wenn er es wert gewesen wäre, hätte er dich gesucht.«
»So ist es doch auch«, erwiderte Benito Alvarez und stand auf. »Lassen Sie die Schuld bitte dort, wo sie hingehört. Sie ist mein Eigentum, das Letzte, das ich an dieser Sache habe, und ich verteidige sie mit Zähnen und Klauen. Ich hätte Ihnen nicht glauben müssen, oder? Dazu haben Sie mich schließlich nicht gezwungen.« Felix hielt ihm noch einmal das Glas hin, doch er lehnte mit einer Handbewegung ab. Zu Stefan sagte er: »Auf Wiedersehen, Herr Hartmann. Hören Sie auf, sich zu zerfleischen.«
»Aber ich habe doch …«
Benito Alvarez schüttelte den Kopf. »Nicht Sie. Ich. Es war meine Entscheidung, Ihre Aussage hinzunehmen und mich in meinem Selbstmitleid zu suhlen.
Weitere Kostenlose Bücher