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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Blick mögen sie zerbrechlich wirken, aber im Innern sind sie fest wie Stahl.«
    Bei ihm ist es umgekehrt, dachte sie, während sie zusah, wie ihr Liebster den goldenen Wein von der Donau, den sein Kaiser auch hier in Mexiko anbaute, in die Kelche schenkte. Äußerlich mag er wie Stahl sein, aber im Verborgenen ist er verletzlich und kostbar wie kein Zweiter. Über den Rand der Gläser sahen sie einander an. »Auf meine Göttin, die betörendste Zauberin von ganz Mexiko.« Sie tranken, dann sanken sie einander in die Arme und küssten sich. Natürlich durften sie sich hier im Freien nicht lieben, und selbst beim Küssen mussten sie auf Schritte lauschen, doch ihn zu halten und sein Begehren zu spüren, war ihr Glück genug.
    So umschlungen, Herz an Herz wie ein einziges Geschöpf, vergaßen sie alles, was sie belastete. Erst als sie sich voneinander lösten, kehrten die Wolken zurück. An seinem Gesicht würde sie sich nie sattsehen können, es war so schön und exquisit geschnitten, dass es einem Mädchen hätte gehören müssen, und doch war es in seinem Ausdruck ohne Zweifel männlich. Während sie es jetzt betrachtete, entdeckte sie wieder die Zeichen von Kummer. Sie legte den Arm um ihn. »Du siehst bedrückt aus, Liebster. Ist etwas nicht in Ordnung?«
    Dankbar schmiegte er sich in ihre Umarmung, streckte sich auf den Rücken und bettete seinen Kopf in ihren Schoß. »Es ist wieder das Übliche. Guerilleros haben mehrere unserer Provianttransporte überfallen. In Uruapan hat es Tote und Verletzte gegeben. Und unsere Telegraphenleitungen werden aus allen Richtungen sabotiert. Es sind wieder die Haufen von diesem Romero, die sich in dem verdammten Urwald von Michoacán versteckt halten. Wenn mir daheim jemand gesagt hätte, ich hätte hier nicht gegen eine reguläre Armee, sondern gegen eine Horde feiger Banditen zu kämpfen, hätte ich ihm kein Wort geglaubt. Aber eine reguläre Armee hat der Verbrecher Juárez ja schon längst nicht mehr.«
    »Er ist kein Verbrecher«, sagte Katharina und strich die Finger durch sein wundervolles Haar.
    »Wie kannst du den Mann noch verteidigen?« Valentin fuhr auf. »Hast nicht auch du gesagt, Mexiko habe endlich Frieden verdient, und ist es nicht dieser Anarchist, der den Frieden verhindert? Du weißt nicht, was der Kaiser getan hat, du weißt nicht, was für eine noble Seele er besitzt und wie sehr er sich wünscht, das ewige Schlachten in seinem Reich zu beenden. Diesem Juárez einen Brief gesandt hat er, in die Wildnis von Chihuahua, eingeladen hat er ihn, in die Hauptstadt zurückzukehren und seiner Regierung beizutreten, zum Wohle Mexikos. Und was hat er zur Antwort erhalten? Ein höhnisches Nein. Er, Juárez, sei vom Volk gewählt, und er allein werde Mexiko regieren, und jetzt stell du dich noch einmal hin und erzähl mir, dieser Mann sei kein Verbrecher!«
    Hingestellt hatte er sich. Aufgesprungen war er und rief seine Empörung in den Tag. Katharina streckte die Hand aus und strich ihm über den Muskel des Schenkels. »Komm wieder zu mir, Liebster. Ich sage es ja nicht noch einmal, wenn es dich so erregt.«
    »Ich weiß, wo du das herhast«, knurrte Valentin, ließ sich aber von ihr nieder und zurück in ihren Schoß ziehen. »Von deinen anarchistischen Freunden, mit denen du unter einem Dach lebst.«
    Um keinen Preis wollte Katharina ein Gespräch über Martina und Felix beginnen, von denen sie in den letzten Wochen einige geführt hatten. Sie wusste, sie hätte aus dem Palais ausziehen müssen, aber sie schob den Schritt immer wieder auf. Martina und Felix waren ihr
Zuhause,
die einzige Familie, die sie noch besaß. Vermutlich würde man sie auch nicht mehr im Deutschen Haus unterrichten lassen, wenn sie als ausgehaltene Frau in einem Hotel logierte, wie Valentin es wünschte.
    Und musste sie ihm den Wunsch nicht erfüllen? Sollte sie nicht um ihrer Liebe willen alles andere aufgeben? Ja, gab eine Stimme in ihr darauf Antwort. Ja, du solltest, denn Halbherzigkeit ist keine Liebe. Hatte sie sich nicht jahrelang verzweifelt gewünscht, ein Mann hätte um ihretwillen alles aufgegeben, hätte Heimat und Familie verlassen, um sie zu finden und wieder bei ihr zu sein?
    »Hörst du mir überhaupt zu?«, herrschte Valentin sie an.
    »Aber ja«, sagte sie, streichelte seine Stirn und schluckte die Kälte hinunter, die sich in Kehle und Brust geballt hatte. »Ich sage nichts mehr über Juárez, ich verspreche es dir.« Ich wünschte, Juárez, der Kaiser und der Lauf der Welt

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