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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Benito, ich habe wirklich gedacht, du wärst schon fast in Michoacán.«
    »Das ist das Einzige, für das ich sie schütteln könnte«, sagte Felix zu Stefan. »Man kann seinen Kopf darauf verwetten, dass sie so oft Michoacán sagt, bis du keine Wahl hast, als zu fragen, was sie damit meint.«
    »Martina«, sagte Benito Alvarez noch immer lächelnd und befreite sich. »Ich versichere dir, ich bin nicht in Michoacán.«
    »Warum nicht? Hat Romero Vernunft angenommen und entschieden, dich zu schonen?«
    Sein Lächeln war unerschütterlich. »Du erwartest nicht ernsthaft, dass ich dir darauf antworte, oder?«
    »Stefan können wir trauen!«, rief sie, senkte aber mit einer Spur Verlegenheit den Kopf.
    »Selbstverständlich«, erwiderte er und hörte zu lächeln auf. »Guten Abend, Felix.« Mit einem Kopfschwenk wies er auf das unvollendete Wandbild. »Deine Josefa ist formidabel. Sie sieht aus, als könnte sie diesen Batzen von Land auf dem Kopf tragen. Genau das, was uns nottut. Guten Abend, Herr Hartmann.«
    Stefan sprang auf. Da der andere ihm seine beneidenswert elegante Hand reichte, blieb ihm nichts übrig, als einzuschlagen, und auch dem Blick der braunen Augen konnte er nicht ausweichen. Der Mann war bereits in der Jugend auf eine Weise schön gewesen, die Stefan weh getan hatte, und dasselbe schmerzhafte Zucken im Herzen verspürte er jetzt. Gewiss, er war mager, wirkte erschöpft und musste an die sechsunddreißig sein, kaum jünger als Stefan selbst. Seine Schönheit aber hatte etwas Unzerstörbares, das über die klaren Züge und die körperliche Wohlgestalt hinausging und der Zeit standhalten würde. Stefan senkte den Blick.
    Benito Alvarez ließ seine Hand los.
    »Setz dich«, sagte Felix und zog einen Stuhl heran. »Wir sind alle ein bisschen aufgewühlt, was? Könnten etwas Stärkeres vertragen als Wasser.«
    Martina hielt die Mezcal-Flasche bereits in der Hand und füllte vier Gläser.
    »Für mich nicht«, sagte Benito Alvarez. »Ich muss heute noch weiter.«
    »Hab dich nicht so«, versetzte Martina und drückte ihm das Glas in die Hand. »Ich verspreche, ich habe keine Windensamen eingestreut.«
    »Vielleicht würde ich es trinken, wenn du welche eingestreut hättest«, erwiderte er und wollte das Glas abstellen, aber diesmal hinderte ihn Felix.
    »Du trinkst das besser aus«, sagte er. »Ich habe nämlich ein Hühnchen mit dir zu rupfen.«
    Benito lächelte und setzte sich. »Kannst du schnell rupfen? Ich bin schon mehr als fünf Stunden zu spät, und bevor ich gehe, wollte ich euch um einen Gefallen bitten. Auch wenn ich nicht zählen kann, um wie viele ich euch schon gebeten habe.«
    »Ich habe nur eine Frage«, sagte Felix. »Mein Vetter hat mir gerade erzählt, dass du uns alle schon kanntest, als wir noch in den Windeln steckten – mich, Stefan, Kathi und den ganzen Rest.«
    »Wie bitte?«, fuhr Martina dazwischen.
    »Das kannst du laut sagen.« Felix fasste sein Gegenüber ins Auge. »Darf ich fragen, warum du uns das nie erzählt hast?«
    Stefan sah die Ader, die an der Schläfe des Mannes zu pochen begann, und das schmale Rinnsal Schweiß. »Es ist meine Schuld«, erklärte er. »Ich habe ihn darum gebeten, jede Verbindung mit unserer Familie zu kappen. Bitte hört auf, ihm zuzusetzen. Er konnte ja nicht wissen, dass er Jahre später euch begegnen würde.«
    »Vielen Dank, Herr Hartmann.« Benito Alvarez wandte sich ihm zu. »Es ist sehr nobel, dass Sie für mich in die Bresche springen, aber als Strafverteidiger müsste ich eigentlich allein fertig werden. Martina und Felix haben recht, ich hätte es ihnen sagen müssen, und ich habe es nicht aus Rücksicht auf Sie, sondern aus Feigheit nicht getan.«
    »Soso«, bemerkte Felix. »Irgendwer hat mir gestern noch erzählt, du seist der mutigste Mann, der in dieser Stadt herumläuft. Ein Held, Benito.«
    »Irgendwer erzählt solches Zeug immer«, erwiderte Benito müde. »Und Helden sind vermutlich Männer, denen der Mut fehlt, vor der eigenen Tür zu kehren. Verzeihst du mir? Ja, ich habe dich als Kind gekannt, zumindest vage. Du warst etwa sechs Jahre alt und hast im Stall die Wände bemalt.«
    »Und Kathi auch?«
    »Nein«, sagte Benito, den Stefan in der Tat erstaunlich mutig fand, und senkte zum ersten Mal den Kopf.
    »Was nein?«
    »Katharina hat nicht die Wände bemalt.«
    Martina war hinter ihn getreten und bohrte ihm die Finger in die Schultersehnen. »Meine Freundin Katharina ist genauso eine Lügnerin wie du«, sagte sie. »Ich

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