Im Land der gefiederten Schlange
Tanzkleider denkt?«
»Was soll sie denn sonst tun? Für die Kinder, die sie hat, muss sie doch weiter da sein.« Auch Marthe hatte nach Hannes’ Tod für Katharina da sein müssen. Es hatte ihr das Herz in der Brust zerrissen, aber es hatte ihr auch den Verstand bewahrt.
»Die Einladung gehört mir«, befand Traude mit dem ihr eigenen Talent, das, was ihr Gegenüber gesagt hatte, zu ignorieren. »So wie das Bild mir gehört, das du unterschlägst.«
»Ich unterschlage überhaupt nichts.« Marthes Geduld war am Ende. »Für das Bild habe ich bezahlt, damit kein Agiotista dir die Polizei auf den Hals hetzt. Willst du vielleicht in diesem Barbarenland im Schuldgefängnis sitzen?«
Traude sprang auf. »Wie kannst du es wagen …«
»Weshalb sollte ich nicht? Du hast dich mit deinem Ball übernommen, also habe ich den Daguerreotypisten ausbezahlt, und das Bild habe ich Dörte gegeben, damit sie ihre Jette noch ein wenig bei sich hat. Hinterher verlange ich es zurück. Ich bewahre es auf, bis es eines Tages das erste Kind bekommt, das in die Heimat zurückgeht. Es soll es mitnehmen und zeigen, dass wir in dieser Wildnis mit Anstand und wie Menschen lebten.«
»Ha«, rief Traude schon wieder, »das sagst du, weil du dir sicher bist, dass deine Katharina die Erste sein wird. Aber du irrst dich, meine Beste. Katharina ist an dieses Land wie an einen Mühlstein gefesselt. Sie kann es sich niemals von den Füßen schütteln.«
»Halt deinen dummen Mund!«
»Warum, weil du die Wahrheit nicht erträgst? In Wirklichkeit nämlich werden es meine Kinder sein, die in die Heimat zurückkehren, mein Stefan als Handelsherr und meine Helene mit dem Sohn des Konsuls. Ich erwarte, dass du Dörte aufforderst, mir die Einladung zu übergeben. Vor ihr wollte ich nichts davon erwähnen, aber du hast hoffentlich nicht schon wieder vergessen, dass diese Familie mir und meinen Kindern etwas schuldig ist.«
»Beim Himmel, Traude, was willst du? Uns erpressen?« Konnte sie das? Genügte das, was sie in der Hand hatte, um das gefährdete Gefüge zum Einsturz zu bringen? Ein eisiger Strom schoss Marthe den schweißnassen Rücken hinunter.
»Wenn es sein muss, auch das«, erwiderte Traude. »Du glaubst, du weißt, wie es ist, in der Fremde auf sich gestellt zu sein, aber du hast keine Ahnung, du hast immer deinen Bruder, deinen verdrehten Vetter und obendrein deinen Mann gehabt. Ich bin meinem Verlobten gefolgt, weil ich fand, eine Frau müsse dem Mann folgen, der ihr ein Heim bietet und sie versorgt. Aber mich hat niemand versorgt. Ich stand mit meinen Kindern allein, und mein Leben war Tod und Angst und Not. Das Einzige, was ich tun kann, ist, meinen Kindern den Weg zu ebnen. Meine Kinder sollen nicht unter dem, was diese Familie uns angetan hat, ihr Leben lang leiden.«
Traude schien der Ansicht, damit sei alles gesagt, denn sie zog sich ihr Schultertuch straff und ging zur Tür. »Lass mich wissen, was du unternommen hast«, warf sie ihr mit bedeutungsvollem Blick hin und verschwand.
Dem Schrecken zum Trotz atmete Marthe auf. Um diesen Schlamassel musste sie sich später kümmern, jetzt brauchte sie alle Konzentration, um das Päckchen rechtzeitig abzuliefern. Sie zerrte das Versteckte aus dem Besteckkasten, band es zusammen und machte sich sofort auf den Weg. Das alte Pony einzuspannen bereitete ihr keine Schwierigkeiten, und dem Pferdeknecht traute sie nicht. Sie würde im Leben keinem Pferdeknecht mehr trauen.
Über der Stadt lag wie üblich die schwere Hitze, in der Marthe selbst mit Hilfe eines Fächers kaum atmen konnte. So belebt die Gassen auf den ersten Blick erschienen, niemand wirkte hier emsig, niemand eilte oder ging beschwingt. Alles schleppte sich, schlich und schlurfte unter der Last der Schwüle. Der Malecon schwitzte zudem unter der Käseglocke der Essensgerüche, die über den Feuerstellen aus den Töpfen simmerten. Die gewohnte Übelkeit stieg Marthe in die Kehle. Manchmal half ihr der Blick aufs Meer, auch wenn er sich nie über den Horizont hinausschicken ließ, aber heute blieb auch dieser nutzlos.
Im Hafenbecken drängten sich bald doppelt so viele Schiffe wie gewöhnlich, und weiter draußen glaubte sie ebenfalls mehr Schiffe auszumachen. Es missfiel ihr. Es erinnerte sie an den Tag, an dem der Kuchenkrieg ausgebrochen war – den Tag, an dem der Indio Katharina angegriffen hatte. Weil du sie allein gelassen hast, begann es in ihrem Kopf zu rumoren.
Damals hatte sie sich geschworen, Katharina nie wieder
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