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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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löste das verebbende Gegacker ab. Marthe fuhr herum. Von den Aufsichtsbaracken eilte eine Einheit Uniformierter die Uferstraße hinunter. Befehle hallten, jemand schoss in die Luft, dass Passanten die Flucht ergriffen und Händler ihre Habe rafften. Auf gespenstische Weise war alles wie beim Ausbruch des Kuchenkriegs, nur Katharina war nicht hier, dem Himmel sei Dank.
    »Was zum Teufel ist denn los?«, fuhr sie den Kollegen des Affengesichtigen an.
    Der zuckte die Brauen, dass sein Käppi hüpfte. »Das wissen Sie nicht, Señora? Die Gringos haben uns den Krieg erklärt. Da drüben johlen sie jetzt: Holt euch Montezumas Paläste. Die verlausten Hunde. Sie wollen die Zufahrt in unsere Häfen blockieren. Das gesamte Gebiet wird bis auf weiteres abgesperrt.«
    Nicht noch einmal! Hatte sie die Angst um ihr bisschen Sicherheit nicht oft genug durchgemacht? Und gerade jetzt, da Katharina in diesem gefährlichen Alter war, konnte sie nicht noch mehr Sorgen brauchen. »Ist das denn möglich?«, stammelte sie. »Können sie uns wirklich blockieren, droht uns Gefahr?« Sie hatte
uns
gesagt und hasste sich dafür.
    Der Beamte entblößte quittegelbe Zähne. »Natürlich nicht. Die Soldaten der Gringos mögen in West Point geschult sein – aber unsere sind geschult im Straßenkampf! Wir werden ihnen zeigen, was eine Harke ist, doch bis dahin besser husch, husch ins Körbchen.« Er wies über die Uferstraße zurück nach der Stadt.
    Marthe begriff, dass ihr keine Wahl blieb. Hastig knöpfte sie den Blusenkragen auf, zerrte das Päckchen heraus und reichte es der Ratte. »Hier, nehmen Sie. Bringen Sie es sicher an sein Ziel.«
    Juan machte keine Anstalten, danach zu greifen, sondern hielt ihr noch immer die geöffnete Hand hin. Zähneknirschend gab Marthe ihm den Geldbeutel. »Zum Teufel, nehmen Sie das weg, bevor diese Kerle ein Auge darauf werfen.«
    Seelenruhig schüttete die Ratte sich die Münzen in die Hand und zählte sie. Dann stopfte er sie in die Tasche und nahm endlich das Päckchen. »Wann Sie brauchen mich wieder?«, fragte er grinsend.
    »Im nächsten Jahr wie immer an Sankt Urban.« Es widerstrebte ihr, das Datum auf katholische Weise zu nennen, aber so kam es wenigstens zu keinem Missverständnis. »Falls sich etwas ändert, geben Sie mir Nachricht.«
    »Hm«, brummte Juan, schob sich das Päckchen unters Hemd und streckte wieder die Hand aus. »Kann jetzt schwer sein, Nachricht zu bringen. Ist Krieg, wissen Sie? Wenn Sie wollen sichergehen …«
    »Nein!«, schrie sie ihn an. »Liefere verdammt noch mal das Päckchen aus, vorher bekommst du keinen Centavo mehr. Euer Krieg und euer verkommenes Land sind mir egal.«
    Sie riss an den Zügeln, um den Wagen auf dem engen Raum zu wenden und im Galopp durch die kreischende Menge zu preschen. Sie wollte ja nicht, dass eine Nachricht kam, seit vierzehn Jahren fürchtete sie nichts mehr als das. Wie oft hatte sie sich gewünscht, die Angst mit Peter zu teilen, doch zugleich wusste sie, dass sie genau das um jeden Preis verhindern musste. Nie im Leben durfte Peter die Wahrheit erfahren, sie musste allein daran schleppen, bis sie darunter zerbrach.
    Jetzt aber war es wieder für ein Jahr überstanden, mit jedem Hufschlag ließ sie es hinter sich. Sie hatte ihren Teil der Abmachung eingehalten. Mochte die Ratte das Päckchen überbringen und ihr damit noch einmal eine Spanne Frieden bescheren.

11
    Er wich ihr aus. Er ließ sich von seiner Wirtin verleugnen und verließ die Werkhalle, in der er arbeitete, durch den Hinterausgang. Katharina aber würde sich nicht abwimmeln lassen, sondern erst Ruhe geben, wenn sie es ihm gesagt hatte.
    Sie hatte so viele Wochen gebraucht, ihn zu finden. Endlose Meilen war sie gelaufen, hatte sich sehnlichst einen Wagen gewünscht und kaum fassen können, wie weit diese Stadt war, die sich für sie über Jahre auf vier Straßenzüge beschränkt hatte. Um ein Haar hätte sie aufgegeben, doch als sie dann endlich vor der Tür seiner Wohnung saß und ihn die schief getretenen Stufen hinaufeilen sah, wusste sie, dass sie das Richtige getan hatte: Sie hatte ihn finden müssen.
    Er sah so verdutzt aus, dass ihr ein Lachen entschlüpfte. Mit beiden Händen fuhr er sich ins Haar, wie sie es so gut von ihm kannte – nur zu oft hatte sie es ihm glatt gestrichen, damit er wieder manierlich aussah. Er war noch ihr Ben, ihr Freund und Vertrauter. Wie sehr er ihr gefehlt hatte, bemerkte sie erst jetzt. Aber er war dazu noch etwas anderes, und das war

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