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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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wundervoll. Der Wunsch, ihm das Haar wie als Kind zurückzustreichen, wurde in ihr zum Sturm, und dennoch wusste sie, dass sie ihr Verlangen zähmen musste, weil er und sie keine Kinder mehr waren. Seltsam, fand Katharina, dass man es auf einen Schlag begreift, obwohl es einem niemand erklärt. Seltsam war auch, dass das alles neu für sie war und dass es zugleich völlig richtig erschien, als gäbe es auf der Welt keine andere Möglichkeit.
    »Was hast du hier zu suchen?«, herrschte er sie an. Er ist mir böse, erkannte sie, und natürlich hatte er das Recht dazu, aber ebendeshalb – um ihm zu sagen, wie leid es ihr tat – war sie ja gekommen. Katharina war sicher, alles ließe sich lösen, wie ihr Vater es ihr beigebracht hatte: Wenn man jemandem Unrecht getan hat, bittet man um Verzeihung, und es ist wieder gut.
    Allzu schlimm konnte es um seinen Zorn ohnehin nicht bestellt sein, denn er hatte sie Ichtaca genannt. In dem einen Wort hatte sie gehört, wie sehr auch sie ihm gefehlt hatte.
    »Ben«, begann sie, er aber ließ sie nicht ausreden.
    »Hier kannst du nicht bleiben«, sagte er eisig. Er war auch früher schon zornig auf sie gewesen, einmal hatte er drei Wochen lang nicht mit ihr geredet, aber dass er zu solcher Kälte fähig war, hatte sie nicht geahnt. »Ich muss dich nach Hause bringen, so lästig es ist.«
    Hinter ihm tauchten die anderen auf, Miguel und die junge Frau mit dem Zopf, und einen Herzschlag lang war es beinahe wie damals. Nur seine Mutter war nicht dabei, stattdessen ein weiteres Mädchen, das mit unverhohlener Neugier an ihm vorbeilugte.
    »Wenn sie nicht geht, mache ich ihr Beine«, fauchte Miguel, der eine Uniform mit rotem Brusteinsatz trug und über dessen Schulter ein Gewehrlauf aufragte. »Wie frech ist das eigentlich, hier aufzukreuzen nach allem, was du ihr verdankst?«
    Ben wandte den Kopf. »Du misch dich nicht ein«, sagte er.
    »Ich will es erklären«, rief Katharina in die entstandene Pause. »Ich hätte damals eingreifen müssen. Ich könnte mir die Haare ausreißen, weil ich es nicht getan habe, aber ich war …«
    »Halt den Mund«, schnitt ihr Ben das Wort ab. Dann packte er mit steifen Fingern ihren Arm, wie man etwas berührt, das einem zuwider ist, und zog sie in die Höhe. »Wir gehen.«
    Katharina war so verletzt, dass sie nicht einmal fähig war, sich zu widersetzen. Er ließ sie los, drehte sich um und ging. Ehe sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte, war sie ihm die Stufen hinuntergefolgt. In ihrem Rücken hörte sie, wie Miguel ausspuckte und wie die Spucke auf den Boden platschte.
    In der Loge bei der Tür saß die Wirtin und tat, als würde sie in einem Mietbuch blättern, doch in Wahrheit spähte sie über dessen Rand hinweg. Katharina hätte ihr am liebsten die Zunge herausgestreckt. Ben schob die Tür auf, sah, dass Katharina stehen blieb, und sagte auf Deutsch: »Du kommst jetzt, oder es soll mir gleichgültig sein, was mein Bruder mit dir tut.«
    Gern hätte sie Ben gesagt, wohin er sich seine Drohung stecken konnte, dann aber beschloss sie, ihm für diesmal zu gehorchen. Bis in die Siedlung hatten sie weit zu gehen, sie würden allein sein, ohne den grässlichen Miguel und die beiden lästigen Frauen, und gewiss würde sie unterwegs Gelegenheit haben, ihr Anliegen vorzubringen. Er würde beschämt sein, wenn er davon erfuhr, und dieser ganze Unsinn würde sich in Luft auflösen.
    Sie schoben sich hinaus ins Zirpen der Frühlingsnacht. Katharina sog den Duft ein, der ihr erfüllt von fremder, lockender Süße erschien, und am liebsten wäre sie wie als Kind gesprungen. Aber ihre Freude währte nicht lange, denn Ben weigerte sich, ihr zuzuhören. Er fuhr ihr über den Mund, sobald sie zu sprechen begann, und ging mit gefrorener Miene neben ihr her.
    Ein einziges Mal, als sie die Siedlung fast erreicht hatten, gelang es ihr, ein paar Worte herauszustoßen, während er einem Trupp berittener Offiziere nachsah und abgelenkt war. »Ich muss doch mit dir sprechen!«, rief sie. »Meine Base Jette ist gestorben, ihr Bruder Felix hat mit ihr sprechen wollen, und jetzt ist es zu spät!«
    In ihrer Erinnerung war das der einzige Augenblick, in dem sie zu ihm durchgedrungen war. Er hatte sich von den Soldaten abgewendet, und der Eispanzer über seinem Gesicht war aufgesprungen, während er getan hatte, was er immer tat, wenn er eine Frage stellte. Er hatte seine geschwungenen pechschwarzen Brauen gehoben, aber nein, nicht beide Brauen wie früher, sondern nur

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