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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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wollen wir mal, hübsches Fräulein.«
    »Kein Geschwätz, habe ich gesagt«, kam es schneidend von Ben. »Und deinen Arm lass stecken, gehen kann sie allein.«
    Der Mann zuckte mit den Schultern. »Wie beliebt, Herr Giftzahn. Kaum zu glauben, dass du einen so umgänglichen Bruder hast.«
    Ben jedoch schien ihn nicht länger zu bemerken. Er blickte nach dem weißen Haus am Ende der Gasse, in dessen Gartenmauer ein zweiflügliges Tor geöffnet wurde. Ein Bursche führte einen Rappen ins Freie, und dahinter folgte eine Frau im Reitdress. Die Frau war sehr blond und trug weder Tuch noch Hut. Ihr aufgestecktes Haar war nicht honigfarben wie das von Jette, sondern geradezu silbrig. In den hellen Reitkleidern bewegte sie sich mit der Selbstverständlichkeit einer Frau, die weiß, wer sie ist und wie viel ihr Wert beträgt. Sie griff nach dem Sattelknauf, um aufzusteigen, doch bevor sie das tat, bemerkte sie Ben. Katharina sah, wie beider Blicke sich trafen, und es versetzte ihr einen schmerzhaften Stich.
    »Helen«, murmelte Ben.
    Die schöne Frau hob den Kopf. »Ach«, ließ sie mit einem halben Lächeln fallen, »ich dachte schon, mein Pferdebursche hielte es heute nicht für nötig, sich zu zeigen.«
    Über Bens Rücken, vom Nacken bis hinunter in die Taille, lief ein Zittern. Er schüttelte es ab, dann straffte er die Schultern. »Ich hatte anderes zu tun«, versetzte er so eisig, dass es, wenn er tatsächlich der Bursche dieser Frau war, einer Unverschämtheit gleichkam.
    »Das sehe ich«, erwiderte die Frau süffisant und sandte Katharina einen Blick. »Nun komm schon, sei nicht beleidigt. Piers ist bis morgen früh unterwegs. Ich dachte, wir gönnen uns einen Ritt in die Vanillefelder.«
    Noch einmal schüttelte Ben sich, dann ließ er Katharina mit den Soldaten stehen und ging zu der Frau. Die schickte den anderen Burschen zurück hinters Tor, gab Ben einen Klaps auf die Wange und stützte sich auf ihn, um aufs Pferd zu steigen. Schmerz und Zorn raubten Katharina den Atem. Dass der indianische Soldat ihren Arm nahm, bemerkte sie kaum. Auch dass auf der anderen Straßenseite jemand entlangging, den sie kannte und der sie ebenfalls zu erkennen schien, dann aber wie erschrocken weitereilte, nahm sie nur wie durch Nebel wahr.
    Ben ordnete Zügel und Gurte, wobei die Frau sich niederbeugte und ihm durchs Haar fuhr. Kurz darauf kam der Bursche mit einem tänzelnden Braunen zurück, den Ben ihm abnahm, um sich hinaufzuschwingen. Seite an Seite ritten die beiden davon, die Frau lachend und Ben hoch aufgerichtet und stumm.
    »Sie sollten schleunigst nach Hause«, sagte der Indio zu Katharina. »Die Hitze kann tückisch sein, und wie es aussieht, sind Sie nicht daran gewöhnt.«

12
    Benito war vor Tagesanbruch losgeritten. Ehe er den Saum des Urwalds, das verschlingende, geheimnisvoll leuchtende Dickicht erreichte, war der Schleier der Dunkelheit aufgerissen, und im Nu hatte sich die Himmelskuppel in sämtliche Spielarten von Orange und Rot gefärbt. Dieses Schauspiel, selbst wenn man es tausendmal gesehen hatte, besaß für den einsamen Reiter etwas so überwältigend Tröstliches, als wäre er tatsächlich in der Weite des Universums nicht allein, sondern geborgen in einer göttlichen Hand. Die Hitze, die sich gleich darauf über das Land senkte, beschwerte Benitos Schritt, und dennoch war es leichter, im Sonnenlicht zu laufen als in der sternklaren Nacht, in der der Himmel hoch und unerreichbar schien.
    An sein Ziel würde er nicht gelangen, bevor das wolkenlose Blau über ihm sich erneut verfärbte, diesmal jedoch nicht, um begleitet von Jubelschreien der Vögel die Ankunft des Tages zu begrüßen, sondern um sein Ende zu betrauern, wobei die Vögel klagten und sich bald verkrochen. Die weiteste Strecke musste er sich durch den Wald schlagen, war im unwegsamen Dickicht gezwungen, vom Maultier zu steigen und das Tier zu führen. Er kannte den Weg, ging ihn heute schon zum dritten Mal, aber der Dschungel veränderte sich mit jedem seiner dunklen Atemzüge, und was einen Monat zuvor ein Pfad ins Freie gewesen war, konnte sich heute als tödliche Sackgasse entpuppen. Es hieß, wachsam zu sein, den eigenen Orientierungssinn bei jeder Wendung zu prüfen, auf Lichteinfall und Bodenbewuchs zu achten und sich Markantes einzuprägen.
    Zwei Tage im Monat kostete ihn das Unterfangen, Tage, an denen er weder arbeiten noch lernen konnte und somit kein Stück weiterkam. Die Schlingpflanzen, die ihm den Weg versperrten, so dass er sich

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