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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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mit der Machete einen Durchgang hauen musste, schienen ihm wie ein Symbol für den Stillstand, den er hasste. Er wollte voran. Jedes Gesetz, das er sich einprägte, jeder Centavo, den er zum Ersparten legte, war ein Schritt seinem Ziel entgegen. Dennoch vergeudete er jeden Monat zwei Tage, und die Armee würde ihm dafür keinen Hosenknopf zahlen.
    Zumindest stellten sie ihm ein Maultier zur Verfügung. Er holte es in der Nacht vor dem Aufbruch in einem Mietstall ab und stellte es bei seiner Rückkehr wieder dort ein. Zu seinem Bedauern gab man ihm jedes Mal ein anderes Tier, so dass er sich nicht an eines gewöhnen und mit ihm die bemerkenswerte Freundschaft schließen konnte, die zwischen Reiter und Reittier möglich war. Benito liebte Pferde. Der Gedanke, er könne eines Tages ein Pferd sein Eigen nennen, war zu betörend, um ihm lange anzuhängen. Ein Maultier war nur zur Hälfte Pferd, und das Gezockel durch das grüne Labyrinth, bei dem er alle paar Schritte absteigen musste, hatte mit dem Rausch eines freien Galopps nichts gemein. Dennoch tat es gut, den schaukelnden Leib zwischen den Schenkeln zu spüren und auf den Hals des Tieres niederzusehen, das ging, wohin sein Reiter es trieb.
    Die Kronen der Kapokbäume formten ein hohes Dach, in dem Kapuzineraffen brüllten, und die Stämme, Stauden und Sträucher ballten sich zu Mauern, die auf ihn zuzuwachsen schienen. Zusätzlich legte sich feuchte Luft wie eine Last auf seine Lungen, und es roch süßlich nach Verwesung und lauerndem Tod. Er zerriss sich die Arme am Stachelmohn und an den Nadeln der Araukarien, der Schweiß brach ihm in Strömen aus den Poren, und in seiner Hüfte regte sich der verhasste Schmerz. Dann aber kam der Augenblick, der jedes Mal aufs Neue unglaublich war – das Grün lichtete sich, die Schritte wurden leicht, beim leisesten Schenkeldruck fiel das Maultier in Trab, und schließlich gab der Wald Tier und Reiter frei.
    Was nun folgte, war das beste Stück des Wegs. Noch brannte die Sonne, und in der Ebene gab es kaum Schatten, aber in stetem Tempo rückte das Vorgebirge näher. Solange man mit dem Aufstieg noch nicht begonnen hatte, wirkte der Weg einen Berg hinauf so kurz, als hätte man es bald geschafft. Weit hinten sah Benito den majestätischen Kegel des Orizaba. Euphorie ergriff ihn und verlieh ihm Schwung. Der hielt vor, bis er den Fuß des steilen Hangs erreichte und ihm wieder einfiel, wie mühsam die Strecke war, die noch vor ihm lag.
    Ruppiges Grasland und schroffes Felsgestein wechselten in rascher Folge. Stieg er eine halbe Stunde lang in praller Sonne, so stand er nach der nächsten Biegung in einem See aus Nebeln. Aus einem Spalt über ihm, der aussah, als wäre die Felswand aufgeplatzt, prasselte Wasser mit einer Gewalt zur Erde, die in den Ohren dröhnte.
    Benito musste das Maultier führen und zahllose Umwege wählen, damit das Tier auf allzu steilem glattem Gelände nicht abrutschte und samt der wertvollen Last zu Tode stürzte. Ohne es wäre er rascher vorangekommen, aber die Last hätte er allein nicht schleppen können, vier Säcke mit Mehl, zwei Fässer mit gesalzenem Fleisch und Fisch. Ihm wurde der Rucksack auf den Schultern schwer genug. Um dieser Last willen stieg er allmonatlich hier hinauf. Er hatte sich freiwillig in den Trupp der Versorgungshelfer gemeldet, die den Soldaten im Ausbildungslager Vorräte brachten, da die üblichen Karren die Kämme und Schluchten des Vorgebirges nicht erklimmen konnten.
    Dass man ihn nicht zum Dienst an der Waffe einzog, hätte Benito wundern sollen, aber es wunderte ihn nicht. In diesem Witz von einer Armee mit ihrer Überzahl an Offizieren wusste die eine Hand nicht, was die andere tat. Seit seiner Meldung besaß er ein Papier, das ihn als Angehörigen der Guerilla, die die Heimat verteidigte, auswies. Vor den Machenschaften der Werber war er damit sicher. Ohnehin hatte nie einer sein Glück bei ihm versucht, weder mit Lazo und Knüppel noch mit Geschwafel vom Vaterland.
    Das Vaterland war Benito gleichgültig. Was er tat, tat er für Miguel.
    Schließlich war es das Einzige, das er für den Bruder tun konnte, sicherstellen, dass er zumindest zu essen und ab und an ein wenig Tabak bekam. Als er das letzte Mal hier gewesen war, hatten die Soldaten, die in dem Lager ausgebildet wurden, um Decken gebeten, da die Nächte in der Höhe selbst im Sommer kühl waren, aber Benito hatte keine erhalten. Es herrschte Mangel. Was vorhanden war, wurde den kämpfenden Truppen in den

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