Im Land der gefiederten Schlange
du sicher? War es nur der Schrecken?«
Ja, dachte sie, nur der Schrecken, aber sie meinte damit nicht den Mann, der mit einem Lazo eingefangen und zu Boden geworfen worden war, denn den hatte sie völlig vergessen, und erst jetzt fiel er ihr wieder ein. »Ben«, sagte sie, »warum haben die Soldaten das mit dem Mann gemacht?«
»Es sind Werber«, erwiderte er. »Sie suchen Idioten, die sich in diesen sinnlosen Krieg schicken und im Kugelhagel verheizen lassen. Einberufen werden kann jeder alleinstehende Mann zwischen achtzehn und vierzig, aber um sich keinen Ärger einzuhandeln, holen sie die, nach denen keiner schreit. Vagabunden. Entlassene Sträflinge. Indios. Kanonenfutter, das niemand braucht.« Seine Stimme, die so liebevoll geklungen hatte, war jäh wieder hart.
»Du musst auf dich aufpassen! Sie können auch dich holen!«
Er wandte sich ab und lachte unschön auf. »Ja, natürlich. Ich bin ja auch einer von denen, die niemand braucht. Das war mir wieder entfallen. Wir Gassenjungen haben eben nicht viel Verstand.«
»Hör auf!«, herrschte sie ihn an und fügte gleich darauf leiser hinzu: »Ich brauche dich. Deshalb habe ich dich gesucht, deshalb bin ich dir hinterhergelaufen, und deshalb habe ich Angst um dich.«
Mit einem seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht wandte er sich ihr wieder zu. »Dazu besteht kein Grund«, sagte er. »Ich habe Schutz genug, um mich muss niemand sich sorgen.«
Das passte zu dem, was er dem Indio gesagt hatte – er gehe nicht allein, das sehe nur so aus. Aber er war doch allein! »Das verstehe ich nicht«, entgegnete sie. »Die Soldaten waren zu fünft, und du …«
»Es ist nichts, das du verstehen musst. Ich kann auf mich selbst aufpassen, ich brauche keine kleinen Mädchen dazu.« Damit stand er auf und sah auf sie hinab. »Und wenn du dich dann endgültig entschieden hast, doch nicht in Ohnmacht zu fallen, würde ich gern gehen. Zu spät komme ich ohnehin schon.«
Katharina war dermaßen überrumpelt, dass sie gehorchte. Er war, ohne sich nach ihr umzudrehen, losgegangen, und sie hatte von neuem Mühe, ihm zu folgen. »Ben!«, rief sie ihm hinterher, aber er drehte sich noch immer nicht um, und ihr fiel nichts ein, das sie ihm hätte sagen können. Schweigend trotteten sie durch die Hitze des Nachmittags, die Katharina auf einmal trostlos erschien. Die Straßen wurden breiter, die Häuser heller und die Mauern um die Gärten höher. Palmen spendeten Schatten, und Stille breitete sich aus. In dem Viertel, das ihrem eigenen benachbart lag, schien kaum ein Mensch unterwegs. Katharina kannte die Gegend. Sie war zumeist von wohlhabenden Kreolen und Engländern bewohnt, Kaufleuten, die ihre Familie als Konkurrenten fürchtete. Stefan hatte hier bei einem Geschäftsführer des Handelshauses Frank & Temperley Arbeit angenommen, obgleich seine Mutter es hasste. Eine entsprechende Stellung bei Deutschen gebe es für ihn nicht, hatte er ihr erklärt.
Abrupt blieb Ben stehen und wies in eine Gasse, in der drei weiße, ausladende Häuser in weitem Abstand voneinander standen. Auf das letzte in der Reihe zeigte sein Finger. »Dorthin muss ich. Kann ich dich von hier allein gehen lassen?«
»Nein«, erwiderte Katharina knapp. Du kannst mich nirgendwohin allein gehen lassen, nicht, bevor du wieder Ben bist und mir gesagt hast, dass du mich wiedersehen willst.
Ben seufzte. Widerstrebend machte er kehrt und eilte einem Zug Soldaten hinterher, die träge ihre Musketen in Richtung Hafen schleppten. Diese Soldaten in ihren buntgeflickten Uniformen gehörten neuerdings zum Straßenbild. Zwei von ihnen, die zuletzt gingen, waren Indios, und einen packte Ben am Arm und sprach auf ihn ein, als wäre er sein Befehlshaber. Er sah auch so aus, fand Katharina. Größer als jeder Mann im Trupp und in dem leuchtend weißen Hemd. Mit den beiden Indios im Schlepptau kam er zu Katharina herüber. »Nettes Ding«, bemerkte der, den er angesprochen hatte. »Deine Schwester?«
Katharina brach in Gelächter aus, weil die Vermutung so abwegig war. Wie konnte sie, eine Deutsche aus Hamburg, Bens Schwester sein?
»Die Tochter von früheren Dienstherren«, erwiderte Ben ohne Ausdruck. »Ihr bringt sie nach Hause, zu ihren Leuten. Es ist nicht weit. Und kein Geschwätz und Gegaffe, verstanden?«
Die Männer würden so nicht mit sich reden lassen, hoffte Katharina, sie würden mit dem Trupp, der auf sie wartete, davonziehen. Stattdessen trat einer der Männer vor und reichte ihr seinen Arm. »Na, dann
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